© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Ein wenig durchdachter Schnellschuß
Höhere Staatsausgaben: Eine 0,2-Prozent-Vermögensteuer auf börsennotierte Unternehmen der G-20-Staaten soll die Corona-Lasten finanzieren
Dirk Meyer

Einfach, gerecht, effektiv – diesen Anspruch erheben zwei französische Ökonomen für ihren Vorschlag in Economy Policy zur Finanzierung der Corona-Lasten. Angesichts des staatlichen Schuldenanstiegs infolge der Corona-Krise wollen Gabriel Zucman und Emmanuel Saez jährlich eine 0,2-prozentige Börsenwertsteuer auf alle Aktiengesellschaften der G20-Staaten erheben. Sie sehen dies als Alternative zu einer einmaligen Vermögensabgabe und breiten Steuererhöhungen.

Staatliche Personalausgaben und Pensionslasten, Ausgaben als Folge der Migration, teure Rentenreformen, Fehlanreize gebende Sozialprogramme oder Euro-Schuldenvergemeinschaftungen schränkten den Handlungsspielraum schon vor der Pandemie hochgradig ein. Soweit kreditfinanziert, kommen zudem Zinsen und Tilgungen hinzu. Nicht zuletzt scheinen Corona-Hilfen wie der 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaufonds (NextGenerationEU, JF 14/21) per se legitimiert – staatskreditfinanzierte Ausgaben ohne Ende.

Diese Probleme sind das Ergebnis eines Demokratieversagens, das durch kurzfristig orientierte Parlamentsentscheidungen eine nachhaltige Finanzpolitik kaum zuläßt. Gerade denjenigen, die schon vor Corona die Aufhebung der Schuldenbremse forderten, würde heute das Geld für die großen Ausgabenprogramme fehlen. Ein Beispiel geben die Krisenstaaten Griechenland, Italien Spanien und Portugal mit Schuldenstandsquoten von 120 bis 206 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Frankreich verzeichnet eine Staatsschuld von 2,65 Billionen Euro (116 Prozent des BIP). Zucman und Saez wollen daher die „fiskalische Demokratie“ zurückgewinnen: neue Handlungsspielräume schaffen für Bildung, Gesundheit, Rente, Klimaschutz und Umverteilung. Finanziert werden soll das durch eine Art Vermögensteuer (VSt) auf börsennotierte Firmen. Bei einer Kapitalisierung von rund 75 Billionen Euro brächte eine 0,2-prozentige Börsenwertsteuer etwa 150 Milliarden Euro jährlich für die 20 größten Industriestaaten – entsprechend 0,18 Prozent ihres BIP.

Verglichen mit den vergemeinschafteten EU-Hilfen von einer Billion Euro ist das wenig – aber schließlich könnten die Regierungen jederzeit den Steuersatz erhöhen. Ein Steuerkartell braucht Wettbewerb weniger zu befürchten. Zudem relativiert eine Beispielrechnung die Geringfügigkeit und zeigt den Zusammenhang einer VSt mit einer Gewinnbesteuerung auf. Bei einem Börsenwert von 100 Milliarden Euro (etwa zutreffend für Siemens, Allianz) und einem Steuersatz von 0,2 Prozent fallen 200 Millionen Euro an VSt an.

Steuerliche Gesamtlast stiege auf 35 Prozent

Wenn diese Unternehmen einen Gewinn von vier Prozent erwirtschaften, würde eine Gewinnsteuer von 30 Prozent (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) zu einer Steuerlast von 1,2 Milliarden Euro führen. Die Gesamtbelastung würde durch die VSt auf 35 Prozent steigen. Zum Problem wird die Substanzsteuer, weil sie auch bei Verlusten anfällt. Da die Börse die Zukunft abbildet und die Steuer „einpreist“, käme es bei dieser Rendite von vier Prozent bei Einführung der VSt sofort zu einem Rückgang der Kurse um fünf Prozent.

Die Firmen würden die Steuer in neu ausgegebenen Aktien entrichten, die der Staat verkaufen könnte. Einzuziehen wäre die Steuer über die Börsenplätze. Doch Siemens ist an neun deutschen Börsen und sechs ausländischen Handelsplätzen präsent. Dies setzt ein internationales Vorgehen voraus. Streit über die Verteilung der Einnahmen wäre vorprogrammiert. Es sei denn, sie würden an eine internationale G20-Organisation gehen, um staatenübergreifend Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren. Hier stellt sich die Frage einer wirtschaftlichen Mittelverwendung.

Vorteilhaft gegenüber einer traditionellen VSt wären der Schutz der Privatsphäre und keinerlei Bewertungsprobleme. Allerdings kann es bei stark schwankenden Börsenkursen zum Stichtag zu Willkür kommen – steuermindernde Kursmanipulationen nicht ausgeschlossen. Aufgrund der Konzentration des Aktienvermögens auf wenige Vermögende stellen die Autoren einen erwünschten Umverteilungseffekt fest. Da Lebens- und private Rentenversicherungen „des kleinen Mannes“ ihr Kapital ebenfalls in Aktien anlegen, wären jedoch auch sie belastet.

Bedenklich sind die erwartbaren Ausweichreaktionen. Die Besteuerung verteuert den Kapitaleinsatz. Es wird weniger Kapital eingesetzt, was die Produktivität der Arbeitskräfte und damit deren Löhne senkt. Eigenkapital ist gegenüber Fremdkapital bereits im bestehenden Steuersystem diskriminiert. Die Börsenwertsteuer würde dies verstärken, da Kredite nicht belastet werden. Bei höherer Kreditfinanzierung sinkt die Haftungsbasis und die Risikotragfähigkeit nimmt ab.

Innovationen und technologische Sprünge bedingen aber eine breite Haftungsbasis, ohne die sich keine Fremdkapitalgeber finden werden. Die Krisenanfälligkeit der Firmen und der Gesamtwirtschaft würde zunehmen. Was liegt näher, als die Steuer auf Fremdkapital und nicht börsennotierte Kapital- und Personengesellschaften auszuweiten, um Ausweichreaktionen zu verhindern: Einfach, gerecht, effektiv ist doch schwieriger, wenn zu Ende gedacht.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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