© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Wie ein traditionsreiches Unternehmen, das eine Kultmarke produziert, sein Image ändern will, exerziert derzeit Harley-Davidson vor. Kürzlich präsentierte der Motorradhersteller aus Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin sein jüngstes Modell, die Pan America, eine Reiseenduro. Der 1903 gegründete Konzern versucht damit, in den bislang von europäischen Firmen, allen voran BMW, dominierten Markt geländegängiger Maschinen vorzudringen. Journalisten, die Harleys Pan America im Westerwald probefahren durften (die Auslieferung an den Handel ist erst für Juni vorgesehen), zeigten sich von deren technischen Qualitäten sehr angetan, um nicht zu sagen: begeistert. Doch Motorjournalisten müssen so schreiben, sie stehen in enger Symbiose zu den Herstellern und Händlern. Ich bin das neue Harley-Modell noch nicht gefahren, und das hier ist auch keine Technik-Kolumne. Vielmehr geht es um eine Daseinsphilosophie (die Maschine gibt’s gratis dazu), ein Lebensgefühl jenseits von Schlammlöchern, Geröllhalden und Sandwüsten, die die Pan America offenbar mühelos bewältigt. Doch will das der gemeine Harley-Fahrer wirklich? Geht es nicht vielmehr darum, entspannt durch die Gegend zu cruisen? Der Chef des Magazins Dream Machines jedenfalls meint, die „revolutionäre Neuheit“ habe „keinerlei Milwaukee-Stallgeruch mehr“, der Adventure Tourer sei ein „echtes Wagnis“ für das Unternehmen. Oder wie es Bruce Willis als Boxer Butch Coolidge in „Pulp Fiction“ sagt: „Das ist kein Motorrad, Baby. Das ist ein Chopper.“


Lektüreempfehlung: Hans Falladas „Lilly und ihr Sklave“ (Aufbau Verlag, Berlin, 269 Seiten, gebunden, 22 Euro). Der soeben erschienene Erzählband enthält fünf Geschichten aus den schriftstellerischen Anfangsjahren Falladas, darunter mit der titelgebenden sowie mit „Robinson im Gefängnis“ zwei bislang unveröffentlichte. Die anderen drei waren nur in Teilen beziehungsweise in anderen Fassungen bekannt. Im Anhang schildert die Rechtsmedizinerin Johanna Preuß-Woessner, wie sie in einer verschollen geglaubten Gerichtsakte über Hans Fallada die Manuskripte aufgefunden hat. Das Gutachten war 1925 für einen Prozeß angefertigt worden, in dem der Autor wegen Veruntreuung verurteilt worden war. Der drogen- und alkoholsüchtige Fallada hatte 6.000 Reichsmark unterschlagen, das Geld in Bordellen und bei Saufgelagen verjubelt. In seiner knappen „Robinson“-Erzählung heißt es dazu auffallend autobiographisch: „Da stehst du in deiner Zelle und zwischen dir und dir ist nichts mehr.“