© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Nach dem Urteil gegen den früheren Polizisten, der wegen der Tötung von George Floyd angeklagt war, sagte Nancy Pelosi, Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses: „Danke, George Floyd, daß du dein Leben für die Gerechtigkeit geopfert hast. (…) Denn deinetwegen und wegen all der vielen Tausende, Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die für die Gerechtigkeit eingetreten sind, wird dein Name immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein.“ Das gläubige Vibrato ist so wenig Zufall wie die Tatsache, daß das Gesicht Floyds längst den Charakter einer Ikone erhalten hat, daß Weiße öffentlich ihre eigene und die Schuld ihrer rassistischen Vorfahren bekennen, mancher demütig bittet, die Füße schwarzer Menschen waschen zu dürfen, auf daß ihm Vergebung widerfahre, und die Sozialen Netzwerke mit Beiträgen von Teenagern geflutet werden, in denen sie ihre Eltern und Verwandten als „Suprematisten“ an den Pranger stellen. Konservative und liberale Kommentatoren der angelsächsischen Welt nehmen diese Vorgänge teils sarkastisch, teils als Indiz für die Wiederkehr religiösen Massenwahns. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit erlebten Wellen häretischer Bewegungen, die zweierlei kennzeichnete: die Überzeugung, einer spirituellen Elite anzugehören, und die Überzeugung, daß der Geist unmittelbar wirke und mit Hilfe seiner irdischen Werkzeuge ein neues Zeitalter heraufführe. Das ganze konnte relativ harmlos abgehen, aber auch – wie im Fall der Taboriten oder der Täufer zu Münster – in Terror und Massenmord enden.

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Auf eine frühe Form des Haßverbrechens wies der römische Historiker und Senator Tacitus in seinen „Annalen“ hin. Den Hintergrund bildet der Brand Roms. Den lastete Tacitus zwar Kaiser Nero an und durchschaute die Schuldzuweisung an die Adresse der Christen als Ablenkungsmanöver. Doch bemerkt er gleichzeitig, daß sich die Gemeinde ihre blutige Verfolgung insofern selbst zuzuschreiben habe, als ihr „Haß auf das Menschengeschlecht“ vorzuwerfen war.

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In einer Zeit, in der kein Herr es mehr für zwingend hält, das Haus nur mit Hut zu verlassen, und die Damenwelt lediglich ausnahmsweise und aus modischen Gründen auf eine Kopfbedeckung zurückgreift, fragt man sich nach den Ursachen für den Dauererfolg des „Kapuzenshirts“ oder „Hoodies“. Wozu die Kapuze an diesem Stück Oberbekleidung? Regen und Wind hält sie kaum ab, in Innenräumen dürfte sie eher störend wirken. Ist es die Ghetto-Aura? Oder geht es um die sportive Anmutung, die Imagination, gerade aus dem Kick-Box-Studio gekommen zu sein, wo man es dem anderen oder dem Sandsack mal so richtig gezeigt hat, um jetzt auf die Straßen von New York zu treten, sich die Knöpfe in die Ohren zu drücken und dann mit dieser sorgfältig eingeübt-blasierten Miene die Kapuze hochzuschlagen und die Sonnenbrille auch bei bedecktem Wetter aufzusetzen?

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Bildungsbericht in loser Folge: „Nun ist lautstarkes Klagen über Lehrer nichts Neues. Wenig Leistung für viel Gehalt, lautet ein schon oft gehörter Vorwurf. Halbtagsjobber seien Lehrer, mit drei Monaten Urlaub im Jahr. Natürlich gibt es Lehrkräfte, die nur ungenügende Leistungen bringen, die den Beruf besser nie ergriffen hätten. Doch ist die Bandbreite, wie in allen Berufen, groß. Und Lehrer stehen stärker unter Beobachtung, Minderleister werden eher entdeckt. Hinzu kommt, daß viele Eltern, was die Bildung ihrer Kinder angeht, sehr ehrgeizig und angespannt sind; sie brauchen Blitzableiter, wenn es nicht läuft wie erhofft; dafür bieten sich Lehrer geradezu an.“ (Lisa Becker, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wirtschaftsteil, Ausgabe vom 17. April 2021)

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Die eigenartige Begeisterung unseres Volkes für andere Völker ist nicht wahllos. Die Neigung zum Französischen, Italienischen, Spanischen, aber vor allem zum Englischen, hatte immer mit der begründeten Wahrnehmung eines Defizits zu tun. Das betrifft den Mangel an Stil, die Unsicherheit im Hinblick auf das, „was sich gehört“. Man kann die Trauerfeier für den verstorbenen Herzog von Edinburgh als Beispiel nehmen: Wer schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, an einem hiesigen Staatsakt teilzunehmen, weiß, daß es in der Berliner Republik niemanden gibt, der die Wurstigkeit austreiben und etwas Vergleichbares zustande bringen könnte.

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat an seinem Amtssitz, der Burg von Buda, eine Metallplatte mit sieben „Gesetzen“ anbringen lassen, deren Einhaltung den „Fortbestand des ungarischen Volkes“ sichern soll: „1. Die Heimat besteht nur so lange, solange es jemanden gibt, der sie liebt! 2. Jedes ungarische Kind ist ein neuer Wachtposten! 3. Ohne Stärke ist die Gerechtigkeit nur wenig wert! 4. Uns gehört nur das, was wir verteidigen können! 5. Jedes Match dauert so lange, bis wir es gewinnen! 6. Grenzen hat nur das Land, die Nation hat keine! 7. Kein einziger Ungar ist allein!“ Die Platte wurde im Auftrag der Regierungspartei Fidesz gefertigt. Die spiegelnde Oberfläche hat den Zweck, daß jeder Ungar sich selbst sieht, während er die „Gesetze“ liest.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 14. Mai in der JF-Ausgabe 20/21.