© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Unsere Rechtslage verhindert eine effektive Terrorismusbekämpfung
Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler beklagt formaljuristische Behinderungen der Geheimdienstarbeit
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Verständlicherweise schreibt Gerhard Schindler, der bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes war, in seiner „Streitschrift“ kaum etwas Konkretes oder gar Enthüllendes über die Tätigkeit seines Dienstes. Immerhin erfährt der Leser, daß der BND über 6.500 Mitarbeiter verfügt, seine größte Abteilung die technische Aufklärung ist, er ebenfalls Satelliten- und Luftbildaufklärung betreibt, in engerem Kontakt zu über 450 Nachrichtendiensten in 167 Staaten steht und täglich mehrere tausend relevante Meldungen erhält. 

Zutreffend ist dabei die Feststellung, wir Deutsche hätten in unserer Sicherheitspolitik ein gestörtes Verhältnis zu unseren Nachrichtendiensten. Erschwerend wirke der „föderale Flickenteppich“ in Form von 16 unterschiedlichen Gesetzen zur Landespolizei und zu den Landesämtern für Verfassungsschutz sowie zum Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Zusammenarbeit dieser vielen Behörden sei recht verbesserungsfähig. Zudem seien Maßnahmen dann eben noch abzustimmen mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den ausschließlich auf äußere Abwehr ausgerichteten Bundesnachrichtendienst. 

Verwaltungsvorschriften behindern Aufklärung

Die Stärke des Buches ist, daß unliebsame Fragen an die Politik in brutaler Offenheit darlegt und sich nicht scheut, die Probleme bis auf ihren Grund zu verfolgen: Anhand zahlloser Beispiele kritisiert Schindler Fehler und gefährliche Lücken in unserem Sicherheitssystem mit zu befürchtenden Folgen etwa im Bereich der Cyber-Sabotage, unseren in gewissen Bereichen überspitzten Datenschutz oder auch unsere drohende strategische Abhängigkeit von China. Der Verfasser zeigt indes zugleich ebenfalls notwendige Verbesserungen auf. Er sieht dabei Sicherheit als Voraussetzung für die Wahrnehmung von Freiheit. Diese ist aber auch eine Schutzaufgabe jedes Staates, der nach seinen Worten jedoch häufig bei der Übernahme von Verantwortung zu zaghaft ist. Dabei kommt er zu dem vernichtenden Urteil: Das Land, dessen Rechtordnung durch unzählige Verwaltungsvorschriften (zumeist von unkundigen Außenstehenden verfaßt) die Tätigkeit seiner Nachrichtendienste zwar intensiv kontrolliert, aber am wenigsten schützt – sei Deutschland!

So erklärte das Bundesverfassungsgericht die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND für einen Verstoß gegen die Grundrechte unserer Verfassung. Gelten solche durchweg lediglich auf dem jeweiligen Staatsgebiet, so schützt dieses Urteil auch jeden Ausländer im Ausland – juristisch spitzfindig ausgelegt sogar die Kommunikation von Terroristen.

Die recht häufige Frage, weshalb der BND es so schwer hätte, in die Salafistenszene und ihre IS-Verbündeten einen Mitarbeiter heimlich einzuschleusen, beantwortet der Verfasser anhand seiner erlebten Erfahrungen: Dies wäre als solches nicht schwierig, doch müsse dieser zwangsläufig dann auch an dortigen Kampfhandlungen teilnehmen, um nicht verdächtig zu werden. In Deutschland indes hätte er sich schon deshalb strafbar gemacht. Da diese „Gotteskrieger“ bekanntlich ihre Gefangenen köpfen, müßte der V-Mann im Grenzfall ebenfalls einen solchen Mord begehen; denn bei einer Weigerung wäre die Gefahr für ihn recht groß, als Spion enttarnt und ebenfalls hingerichtet zu werden – der Gefangene würde ohnehin sterben. Schon um sein eigenes Leben nicht verlieren, müßte er sich an der Aktion beteiligen. Im Gegensatz zur CIA, dem MI6 und dem Mossad, die zu Recht primär ihre Agenten schützen, würde dieser BND-Mitarbeiter in Deutschland als Mörder bestraft werden. Verbittert schreibt der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes, „mir ist kein demokratischer Rechtsstaat bekannt, in dem es eine vergleichbare, die Terrorismusbekämpfung behindernde Rechtslage gibt“. Recht skeptisch schreibt Schindler mit Blick auf die gegenwärtige Situation abschließend, „die Veränderung der Welt zum Unguten wird schneller erfolgen, als wir es vor der Corona-Krise geahnt haben, und diese Veränderungen werden uns alle treffen“.

Über die die oft herrschende Weltfremdheit hinaus bleibt das entscheidende Problem, wieviel persönliche Freiheit in diesen Fragen und wie viel Sicherheit sich Deutschland leisten will – und kann. 

Gerhard Schindler: Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen. Eine Streitschrift. Econ Verlag, Berlin 2020, gebunden, 256 Seiten, 22 Euro