© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Nichts als Unruhe
Walpurgisfeier: Aufgrund der Corona-Beschränkungen darf es in diesem Jahr keine Feuer in der Nacht zum 1. Mai geben
Paul Leonhard

Die Thingstätte auf dem Heiligenberg ist gesperrt. Hier darf es in der Nacht zum 1. Mai keine Walpurgisfeier geben. Die Stadt Heidelberg hat ein Waldbetretungsverbot ausgesprochen, das vom 30. April, 14 Uhr, bis zum 1. Mai, sechs Uhr, gilt und natürlich ganz unabhängig von der Corona-Pandemie gefallen ist, wie die Verwaltung betont. Auch im Vogtland fällt die öffentliche Walpurgisnacht aus, ebenso in der Pfalz, Eifel, im Hunsrück und in Südbaden. Verbote gibt es in Goslar und Wernigerode, keinen brodelnden Hexenkessel im Bodetal im Harz. Tanzverbote für menschliche Hexen und Teufel, dafür uniformierte Polizeistreifen und die Androhung empfindlicher Geldbußen.

Ob auf die Obrigkeit gehört wird?

Überall in Deutschland haben in den vergangenen Wochen Stadt- und Gemeinderäte zusammengesessen und krampfhaft überlegt, wie sie mit der lästigen Tradition der Hexenfeuer umgehen sollen. In Sachsen – wo CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer seinen Landsleuten zwar das Reisen untersagt hat, aber selbst mit Troß zum Staatsbesuch nach Moskau gereist ist – dürften die Hexen am lautesten gekichert haben: Wurde ihr großer Tag doch als Volksfest eingestuft, um daraufhin nach Paragraph 4, Absatz 2, Nummer 8 der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung (Volksfeste, Jahrmärkte, Spezialmärkte etc.) untersagt zu werden.

Seltsamerweise zogen nicht einmal grün regierte Gemeinden die Diskriminierungskarte, sondern überall heißt es Corona, Corona, Corona. Und natürlich werden sich die Menschen – wie schon in der DDR – nicht ihre Traditionen von der Obrigkeit verbieten lassen. Auf Hexenfeuer angesprochen, lächeln viele in den ländlichen Regionen still vor sich hin und zeigen sich unschuldig: Die seien doch behördlich untersagt. Und der Dorfsheriff weiß genau, wo er sich in der Nacht zum 1. Mai besser nicht blicken läßt. Denn natürlich werden an geheimen Orten die Feuer lodern, wird gelacht, getanzt und gefeiert. 

In den Morgenstunden werden Liebespaare sich an den Händen halten und über das niedergebrannte Feuer springen. Schon damit das Böse vertrieben wird, damit der Frühling endlich den in diesem Jahr besonders zähen kalten Winter vertreibt und die Natur Knospen, Blüten und später Früchte trägt. Auch ist überliefert, daß der Gang zwischen zwei Walpurgisfeuern reinigen und Seuchen fernhalten soll. Gilt die englische Äbtissin Walpurgis (um 710–779) doch als Schutzheilige gegen Pest, Husten und Tollwut.

Und auf dem Brocken, der nicht nur der höchste Berg im Harz ist, sondern vor allem Deutschlands Hexentanzplatz Nummer eins mit dem „Hexenaltar“ und der „Teufelskanzel“? Spinnenblut und Kröfendeck heißt da das zentrale Motto, und es wird eingeladen – zu einer digitalen Walpurgisnacht, weil sich angeblich die Harzer Hexen in diesem Jahr nicht persönlich treffen können.

Aber vielleicht wollen die nach Jahrzehnten des Trubels einfach mal unter sich sein, haben es satt, daß sich im Kurpark von Hahnenklee-Bockswiese im Oberharz skurrile Gestalten tummeln und Hexensabat spielen, ärgern sich über den Lichterglanz und das Höhenfeuerwerk. Immerhin fand hier schon 1896 die erste für Touristen organisierte Walpurgisfeier statt, und drei Jahre später benötigte man keinen Besen mehr, sondern konnte mit der Brockenbahn den Berg bequem hinauffahren.Irgendwann muß damit Schluß sein, beschloß der Hexenrat.

Seit im 15. und 16. Jahrhundert ihr Hexensabbat Eingang in die Literatur gefunden hat, gab es keine richtige Muße mehr für ungestörte Feste. Die Unruhe verschärfte 1668 die „Blockes-Berges Verrichtung“ von Johannes Praetorius. Dieser schrieb einen „ausführlichen Geographischen Bericht / von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt / und Zauber-Sabbathe / so auf solchem Berge die Unholden aus ganz Deutschland / Jährlich den 1. Mai in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen“. 

Daher sollen die Menschen in diesem Jahr zu Hause bleiben und ihre  „Hexpertise“ mit einem „Walpurgisquiz“ ausleben, so heißt es auf allen Social-Media-Kanälen der Tourismusverbände. So haben es die Hexen den Funktionären und Verwaltern nächtens in die Gehirne geflüstert: Corona, Corona. Das hatte schließlich schon vor einem Jahr ganz gut geklappt.

Wer auf diesen hinterlistigen Trick der Hexe Walpurga hereinfällt, ist selber schuld. Denn auch in diesem Jahr werden die Hexen auf Besen und Mistgabeln aus allen Richtungen gen Brocken fliegen, um sich mit dem Teufel zu verbinden. Sie wollten bloß nicht länger von Tourismusmanagern mit Eurozeichen in den Augen vermarktet werden, sondern es wieder einmal richtig krachen lassen, so wie es sich der Dichterfürst Goethe einst in seinem „Faust“ vorstellte: „Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei. So spukt mir schon durch alle Glieder die herrliche Walpurgisnacht.“ Und überall auf den Dörfern wird man es ihnen gleichtun.