© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Nicola Sturgeon. Stellt die Nationalistin nun die Weichen für Schottlands Unabhängigkeit?
Schrecken des Empires
Michael Walker

Die Scottish National Party hat sich in den letzten 25 Jahren von einer Ein-Mann-Show zur dominierenden politischen Partei Schottlands entwickelt. Ein Erfolg, der auch Nicola Sturgeon zu verdanken ist, die die SNP seit sieben Jahren führt. Ihr Vorgänger Alex Salmond trat nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum von 2014 zurück. Nun muß sich auch Sturgeon dieser Feuerprobe stellen, denn der schottischen Parlamentswahl (JF 18/21) am 6. Mai folgt die Entscheidung, ob es erneut zu einer Volksabstimmung kommt.  

Geboren wurde die 51jährige Parteichefin in Irvine an der südwestschottischen Küste, mitten hinein ins geschichtliche Gedächtnis des Landes. Denn dem historischen Hafen- und Industriestädtchen wurde nicht nur vom Nationalhelden Robert the Bruce höchstselbst das Burgrecht verliehen, zeitweilig wirkte hier auch der schottische Nationaldichter Robert Burns. Als Tochter eines Elektrikers und einer für die SNP aktiven Krankenschwester, ging Sturgeon schon früh in die Politik und ist mit allen Wassern gewaschen. So hat die Juristin bereits zweimal einen Antrag für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum gestellt, das London zweimal abgelehnt hat. Was Sturgeon Gelegenheit gab, die Anwältin der „verweigerten Demokratie“ zu spielen, während sie tatsächlich davon profitierte, keine Volksabstimmung abhalten zu müssen, solange das Ergebnis unsicher ist. Denn schon 2014 erwies sich die verbreitete Annahme einer sicheren Mehrheit für einen Austritt als viel zu optimistisch.  

Sturgeon weiß, daß Parteien, die lange an der Macht sind, oft abgestanden wirken, und ihre SNP ist keine Ausnahme. Deshalb braucht sie einen durchschlagenden Wahlerfolg, um ihre Nationalpartei anschließend zu einem Unabhängigkeitssieg zu führen, bevor sich beim Wähler Verdruß einstellt, die SNP verspreche stets mehr, als sie halte. Sturgeons Setzen auf Sieg ist ein Glücksspiel, könnte aber funktionieren, denn die schottischen Grünen und die neue Alba-Partei ihres Vorgängers Salmond unterstützen die Idee – während der Unionismus mit dem Vereinigten Königreich politisch zwischen den sich feindlich gesinnten Parteien Tory und Labour gespalten ist. Tatsächlich ist Schottland nämlich mehr pro EU als pro Unabhängigkeit von England, doch daraus können die beiden Parteien, anders als 2014, kein Kapital schlagen, da sie den Brexit akzeptiert haben. 

Geschickt kombiniert Sturgeon eine internationalistische Pro-EU- mit einer nationalistischen Home-Rule-Politik, auf Basis der separatistischen, puritanischen und sozialistischen Tradition Schottlands – gegen das imperiale, anglikanische und kapitalistische England. Und schließlich kommt ihr zugute, daß sie, anders als der Vertreter Londons, Boris Johnson, kaum einen Fehltritt getan hat. Holt die SNP die absolute Mehrheit, könnte das diesmal tatsächlich der Anfang vom Ende des Vereinigten Königreichs sein.