© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Karlsruhe for Fridays
Klimaschutzgesetz: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber Nachbesserungen aufgetragen / „Freiheitseinschränkungen gerechtfertigt“
Jörg Kürschner

Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl begünstigt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts den politischen Meinungstrend zum Vorteil der Grünen. Das höchste deutsche Gericht hat das Klimaschutzgesetz (KSG) in Teilen für verfassungswidrig erklärt, weil es die Freiheitsrechte der jungen Generation verletze. Das weitreichende Urteil bestimmt im Berliner Regierungsviertel bereits den Vorwahlkampf.

In dem Richterspruch geht es um eine zukünftige Balance zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten und dem Klimaschutz. „Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen“, heißt es in dem das Urteil zusammenfassenden Beschluß. Damit ließen sich rechtstheoretisch Einschränkungen der persönlichen Freiheit in einem Umfang begründen, der bis zu Beginn der Pandemie unvorstellbar war. Allerdings wird einschränkend festgehalten, daß „die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein“ müßten. 

Die Karlsruher Richter haben dem Gesetzgeber bis Ende 2022 aufgegeben, die Minderung der Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 konkreter zu regeln. Damit gaben sie mehreren jungen Menschen, unter ihnen auch Klägern aus Nepal und Bangladesch sowie Umweltorganisationen wie Greenpeace, recht, sie würden durch das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt. Das Gesetz verschiebe hohe Lasten für die Minderung der Emissionen „unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030“. Doch hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, um diese Lasten für künftige Generationen abzumildern, urteilte das Verfassungsgericht. Es gelte, „mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, daß nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten“, stellten die Richter in ihrem Umwelturteil klar.

Das KSG geht zurück auf das Pariser Klimaabkommen, das für Deutschland völkerrechtlich verbindlich ist.  Es sieht vor, die Erderwärmung bis 2050 auf unter zwei Grad Celsius, besser 1,5 Grad, im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen. Zusätzlich berufen sich die Richter auf Artikel 20a des Grundgesetzes. 1994 war nach langen gesellschaftspolitischen Diskussionen das Staatsziel Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen und damit die „Verantwortung für die kommenden Generationen“ unterstrichen worden. „Art. 20a GG ist eine justitiable Rechtsnorm, die den politischen Prozeß zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll“. Die Bestimmung genieße aber keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern sei im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern zu bringen.

Auch wenn die acht Verfassungsrichter des Ersten Senats unter Präsident Stephan Harbarth, einem früheren führenden CDU-Bundespolitiker, das Grundrecht auf Klimaschutz mehrfach abschwächen, ist eine Akzentverschiebung unübersehbar. Stichwort Generationengerechtigkeit. Der Klimaschutz wird in der Rechtsprechung künftig eine größere Rolle spielen; in Abgrenzung zu individuellen Freiheitsrechten. Die Pflicht des Staates zum Klimaschutz sei ein Auftrag mit internationaler Dimension, Deutschland könne sich dieser Verpflichtung nicht unter Hinweis auf ausländische Klimasünder entziehen, lautet die Richtschnur für die Politik. Ob diese Pflicht angesichts des globalen Klimawandels auch gegenüber den Klägern in Bangladesch und Nepal bestehe, lassen die Karlsruher Richter offen.  

Wirtschaftsverbände reagieren zurückhaltend 

Das Verfassungsgerichtsurteil führte zu hektischer Betriebsamkeit in Berlin. Während Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sich über eine „historische Entscheidung“ freute, assistiert von der „Fridays-for-Future“-Bewegung, begann zwischen den Koalitionsparteien ein Überbietungswettlauf getreu dem Motto „grün, grüner am grünsten“. Union und SPD kündigten eine Änderung des KSG noch vor der Bundestagswahl am 26. September an. Nach Ansicht von AfD-Co-Fraktionschefin Alice Weidel kommt das Gesetz schon jetzt weitestgehend ohne wissenschaftliche Belege aus. Die unternehmerische als auch die Freiheit des Einzelnen würden eingeschränkt und führten zu enormen Preissteigerungen bei den Verbrauchern.

Die Grünen drückten selbstbewußt aufs Tempo, beantragten für vergangenen Mittwoch eine Aktuelle Stunde des Bundestags. Und sie forderten eine zügige Anhebung des CO2-Preises zum Jahresbeginn 2023 von derzeit 25 auf 60 Euro pro Tonne. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will die  Gesetzesnovelle in den nächsten Tagen vorstellen. CSU-Chef Markus Söder mahnte gar eine „Generalsanierung des Klimagesetzes“ an. Zurückhaltend reagierten Wirtschaftsverbände wie der BDI. Jetzt müsse die Politik die langfristigen CO2-Ziele auf parlamentarischem Wege festlegen. Nicht Ministerien oder Gerichte dürften derart grundlegende politische Ziele formulieren, diese seien der Legislative vorbehalten.