© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wer wird denn da drängeln?
Paul Rosen

In der Fabel „Farm der Tiere“ des britischen Schriftstellers George Orwell lautet der Schüsselsatz nach der erfolgten Revolution auf der Farm: „Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen.“ Auf die menschliche Ebene übertragen heißt das, daß einige Menschen gegenüber der großen Masse bevorzugt werden.

Ein aktueller Fall ist im Bundestag zu beobachten: Unabhängig von der persönlichen Priorisierungseinstufung und der Impfsituation in den Bundesländern wurde für die Bundestagsabgeordneten eine Corona-Impfstation eingerichtet, wo sie sich – von der Öffentlichkeit unbemerkt – bevorzugt impfen lassen konnten (JF 16/21). 

Heute bekommen im ganzen Land Kommunal- und Landespolitiker regelmäßig Ärger, wenn sie versuchen, die Priorisierung bei der Corona-Impfung zu umgehen. Inzwischen will sogar Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegen sogenannte Impf-Drängler vorgehen und schließt Sanktionen für Menschen nicht aus, die sich entgegen der Priorisierung vorzeitig immunisieren lassen würden. Auch der als Kandidat für die Kanzlerkandidatur gescheiterte bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagte in einer Regierungserklärung: „Keiner sollte sich vordrängeln.“

Im Bundestag geht die Privilegierung indes weiter. Nachdem sich viele Abgeordnete haben impfen lassen, muß man in der Führung des Hauses festgestellt haben, daß ungeimpfte Mitarbeiter, die mit Abgeordneten Kontakt haben, ein Risiko darstellen könnten – für die Politiker. Folglich wurde die Impfaktion auf Mitarbeiter der Verwaltung ausgedehnt, noch bevor die entsprechende Priorisierungsgruppe 3, in die sie eingestuft sind, in Berlin an der Reihe war. 

Allerdings gab und gibt es Impfungen nicht für alle Mitarbeiter der Verwaltung. Geimpft werden könnten Mitarbeiter, „die in besonders relevanter Position in einem Verfassungsorgan tätig sind“, erklärte Bundestagsdirektor Lorenz Müller. Es würden die Mitarbeiter ausgewählt, die unmittelbar für das Plenum oder in Ausschüssen arbeiten würden „und dabei im übrigen einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind“. 

In Wirklichkeit geht es wohl darum, das Infektionsrisiko für Abgeordnete mit der Impfung der plenarnahen Mitarbeiter zu reduzieren. Den anderen Bundestagsmitarbeitern empfiehlt Müller, über ihre Haus- und Fachärzte und die Berliner Impfzentren zu einem Impftermin zu kommen“. Das ist gar nicht so einfach. Denn auch wenn in Berlin die Priorisierungsgruppe 3 inzwischen grünes Licht bekommen hat, dürfte sich wegen der hohen Nachfrage die Wartezeit für einen Termin in einem der Impfzentren noch bis in den Juni hinziehen. 

Dessen ungeachtet kündigte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) vergangene Woche in einem Schreiben an alle Abgeordneten an, daß man nach Öffnung der Priorisierungsgruppe 3 „einen sehr eng begrenzten Kreis“ von Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros mit einer Bescheinigung „über deren Impfberechtiung mit erhöhter Priorität versehen“ könne. Ein entsprechendes Formular lag schon anbei.