© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Dem Zerfall Einhalt gebieten
Tausende französische Militärs warnen vor einem Bürgerkrieg: Regierung und Parlament sollen handeln
Friedrich-Thorsten Müller

Mit einem aufsehenerregenden Appell haben sich Tausende französische Armee-Angehörige an Regierung und Parlament ihres Landes gewandt. In einem offenen Brief brachten die zunächst 1.000 Erstunterzeichner, darunter 20 Ex-Generäle, die große Sorge zum Ausdruck, Frankreich könne durch den „Zerfall“ seiner Gesellschaft in einen Bürgerkrieg abgleiten. 

Mittlerweile ist die Zahl der Unterschriften auf rund 25.000 angestiegen. Ursprünglich war der Brief auf der Seite des Militär-Blogs „Place d’Armes“ (Exerzierplatz) von Jean-Pierre Fabre-Bernadac veröffentlicht worden, einem ehemaligen Infanteristen und früheren Hauptmann der Gendarmerie. Ausgerechnet zum 60. Jahrestag des französischen Militärputsches in Algier wurde der Appell dann auch in der rechten Wochenzeitung Valeurs Actuelles (Seite 17) abgedruckt.

Die Initiative weist auf die Entstehung ganzer Gebiete in Frankreich hin, in denen angeblich Werte gelten, die im Widerspruch zur Verfassung des Landes stünden. Zudem prangern sie in ihrem Schreiben sich wiederholende islamistische Angriffe wie die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty auf offener Straße im vergangenen Oktober an. 

Etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung des Briefes kam es zu einem erneuten Anschlag: Diesmal schnitt ein Tunesier einer Polizeimitarbeiterin hinterrücks mit einem Messer in ihrer Dienststelle in der südwestlich von Paris gelegenen Stadt Rambouillet die Kehle durch, was unter Frankreichs Sicherheitskräften zu großer Empörung führte. 

Militärs warnen vor einem großen Knall

Die Militärs fordern die Politik eindringlich dazu auf, den „Zerfall der Gesellschaft“ zu stoppen und den Gesetzen der Republik wieder überall Gültigkeit zu verschaffen. Über Jahrhunderte hätten Franzosen „unabhängig von ihrer Hautfarbe oder ihrem Glauben Frankreich gedient“ und seien bereit gewesen, ihr Leben für das Land zu opfern. Mit großer Sorge blicken sie nun auf Identitätspolitik und „Cancel Culture“. 

Denn unter dem Deckmantel des „Antirassismus“ sollten in Wahrheit nur „Frankreichs Traditionen und seine Kultur aufgelöst“ und das Land gespalten werden, mahnen die Armee-Angehörigen. Dazu gehöre auch die Praxis, jahrhundertealte Worte an heutigen Maßstäben zu messen. Sollten diese Entwicklungen nicht rasch gestoppt werden, rechnen die Militärs mit einem großen Knall. 

Dieser würde den Einsatz des Militärs zur Wiederherstellung der inneren Ordnung erfordern und viele tausend Tote nach sich ziehen, so die Warnung der Unterzeichner. Während die Regierung zunächst nicht auf den offenen Brief reagierte, sah der Vorsitzende der französischen Linkspartei LFI, Jean-Luc Mélenchon, in dem Schreiben einen Aufruf zum Aufstand und damit einen strafbaren Angriff auf die Verfassung. Die sozialistische Senatorin und Berichterstatterin für Verteidigungsangelegenheiten, Hélène Conway-Mouret, erklärte das Ganze dagegen zu einem „Sturm im Wasserglas“. 

Es sei „wichtig, in einer Welt, wo jede kleine Kursabweichung gleich als Erschütterung wahrgenommen wird, die Dinge zu relativieren. Wir haben es hier mit keinem Staatsstreich in Vorbereitung zu tun“, versicherte sie. Offen begrüßt wurde der Appell dagegen von der Chefin der rechtskonservativen Partei Rassemblement National, Marine Le Pen. Sie teile „die Analyse und Besorgnis der engagierten Männer, die zu ihrer Heimat stehen“ und lud die Unterzeichner zur Unterstützung ihrer Präsidentschaftskandidatur ein. Gleichwohl leistete sie sich in ihrer Entgegnung einen groben Fauxpas, indem sie ihren Brief zunächst nur an die 20 Generäle unter den Erstunterzeichnern richtete. 

Ministerin droht aktiven Soldaten mit Strafe

„Place d’Armes“ äußerte in einer Entgegnung zwar Verständnis für das Werben der RN-Vorsitzenden, bescheinigte dieser aber „völliges Unverständnis des Militärischen“, da sie sonst wisse, daß „Generäle ohne ihre Truppen“ nichts wert seien.  Inzwischen hat sich auch Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly (Sozialistische Partei) zu Wort gemeldet. 

Sie bezeichnete die Aktion gegenüber dem Radiosender France Info als „Schlag ins Gesicht für Tausende von Soldaten“. Die Unterzeichner spiegelten nicht die Stimmungslage in der Armee wider. Außerdem hätten sie gegen die Pflicht zur politischen Zurückhaltung verstoßen. Entsprechend kündigte sie „harte Sanktionen“ für jene Unterzeichner an, die noch aktiv im Dienst sind. 





„Appell an den Patriotismus“

„Valeurs Actuelles“ druckte den Aufruf der Militärs ab: Auszüge aus den Forderungen

Unsere Nationalflagge ist nicht nur ein Stück Stoff. Sie symbolisiert auch die Tradition derer, die unabhängig von ihrer Hautfarbe oder ihrem Glauben Frankreich über die Jahrhunderte hinweg gedient und ihr Leben für das Land geopfert haben. 

Auf der Trikolore stehen in goldenen Lettern die Worte „Ehre und Vaterland“. Unsere Ehre besteht heute darin, die Spaltung in unserem Land anzuprangern. (...) 

Wir beobachten einen Zerfall: Islamismus und die Horden aus den Vorstädten bewirken, daß viele Teile der Nation abgetrennt und Werten unterworfen werden, die im Widerspruch zu unserer Verfassung stehen. 

Doch jeder Franzose, egal ob gläubig oder nicht, ist überall in Frankreich zu Hause; es kann und darf keinen Ort oder Bezirk geben, in dem die Gesetze der Republik nicht gelten.(...) Es ist ein Zerfall, weil die demonstrierenden Gelbwesten Polizisten in ihrer Verzweiflung zu Sündenböcken machen und Haß plötzlich Vorrang vor Brüderlichkeit hat. 

Währenddessen plündern vermummte Eindringlinge Geschäfte und bedrohen eben jene Sicherheitskräfte. Dennoch tun die Beamten nichts anderes, als die widersprüchlichen Richtlinien anzuwenden, die von Ihnen, den Herrschenden, vorgegeben werden. Die Gefahr wird immer größer, die Gewalt nimmt von Tag zu Tag zu. 

Wer hätte vor zehn Jahren geahnt, daß ein Lehrer eines Tages vor seiner Schule enthauptet werden würde? Nun können wir, die sich in den Dienst der Nation stellen – wie es unser militärischer Status verlangte –, keine passiven Zuschauer solcher Aktionen sein. Deshalb müssen diejenigen, die unser Land führen, unbedingt den nötigen Mut aufbringen, den benannten Gefahren Einhalt zu gebieten. Es würde oft ausreichen, die bereits bestehenden Gesetze ohne Schwachstellen anzuwenden. Vergessen Sie nicht, daß eine große Mehrheit unserer Mitbürger wie wir die Nase voll hat von Ihrem ausweichenden und schuldbewußten Schweigen. (...) 

Wenn aber nichts unternommen wird, wird sich die Nachgiebigkeit in der Gesellschaft unaufhaltsam weiter ausbreiten, was letztendlich zu einer Explosion führen wird. (...) 

So wie wir es sehen, ist keine Zeit mehr, um zu zögern, sonst wird morgen der Bürgerkrieg diesem wachsenden Chaos ein Ende setzen und die Zahl der Toten, für die Sie verantwortlich sein werden, wird in die Tausende gehen.