© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Die linken Lieblingsthemen verpuffen
Italien: Matteo Salvini bekleidet derzeit kein Regierungsamt, Zweifel an seiner Funktion als Schattenminister hat aber niemand
Marco F. Gallina

Eine „Qual“, „sinnlos“ und „eine Verletzung der wesentlichen individuellen Rechte“ ohne Grundlage nennt Lega-Chef Matteo Salvini die nächtlichen Ausgangssperren. Anders als in Deutschland gelten die zwar schon seit November 2020. Doch seit Ende April ist in Italien vieles offen. 

Während der Deutsche Bundestag mit dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz eine Verschärfung der Corona-Verordnungen verabschiedete, kündigten andere europäische Länder Lockerungen an – darunter auch Italiens Premierminister Mario Draghi. 

Noch zu Ostern verordnete der einstige Präsident der Europäischen Zentralbank seinen Landsleuten schärfere Regeln, allerdings mit dem Versprechen, danach Lockerungen in Aussicht zu stellen. Draghi hielt Wort. Am 22. April folgte ein Dekret mit konkretem Fahrplan aus dem Lockdown. Schon am 26. April machte die Außengastronomie in den weniger betroffenen Regionen Italiens am Mittag wieder auf. Ab dem 15. Mai sieht das Dekret den normalen Schulbetrieb, Innengastronomie sowie Besuche von Theatern, Museen und anderen Einrichtungen vor. 

Nur wenige Minuten nach Draghis Öffnungsansage meldete sich Salvini zu Wort. Der Lombarde bekleidet derzeit kein Regierungsamt. Zweifel an seiner Funktion als Schattenminister hat aber niemand. Salvini gilt als Einflüsterer von Eröffnungsorgien. Und Draghi gibt gerne nach.

Draghi setzt Salvinis Migrationspolitik fort    

Drei Monate nach Regierungsvereidigung bestimmt eine bemerkenswerte Dynamik das ungleiche Tandem aus Ex-EZB-Chef und Ex-Eurohasser. Im persönlichen Gespräch scheint die Chemie zu stimmen – denn Draghi wie Salvini einigten sich schon vor der Regierungsbildung darauf, die italienische Wirtschaft hochzufahren. 

Paradoxerweise steht Draghi den politischen Positionen der Lega näher als denen des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der den Römer ins Amt gehievt hatte. Die italienische Linke beharrt auf den Corona-Restriktionen, Salvini macht den Einheizer. So steht Draghi nicht selbst im Rampenlicht und wahrt seine Rolle als Moderator. Wichtig ist nicht nur, zu welchen Themen Draghi redet – sondern auch, zu welchen er schweigt.

Daß es mit einer „Regierung der nationalen Einheit“ nicht so wie mit dem Kabinett Conte weitergehen würde, deutete sich spätestens beim Themenkomplex „ius soli“ an. 

Die Linken wollten eine Änderung des Staatsbürgerrechtes debattieren, demnach nicht mehr Abstammung, sondern Geburtsort über den italienischen Paß entscheiden sollte – ein Prestigeprojekt, das die Vorgängerregierung angestrebt hatte. Doch die Lega zeigte früh an, daß sie mitregierte und leistete Widerstand. Draghi schwieg. Die Aktion lief ins Leere. Im April wiederholte sich Ähnliches, als ein Gesetz gegen Homo- und Transphobie im Senat an der Lega scheiterte. Silvio Berlusconis Forza Italia und Giorgia Melonis Fratelli d’Italia – die in der Opposition geblieben sind – assistierten. Der Aufschrei von links war groß, hatte sie das Gesetz doch schon unter der alten Regierung durch die Abgeordnetenkammer gejagt. Wie Draghi dazu stand? Der Premier hielt sich bedeckt.

Auch für andere Modethemen wie Klima, Frauenquote oder LGBT hat der Jesuitenschüler offenbar wenig übrig.

Während auf der einen Seite die linken Themen verpuffen, setzt die Regierung eine Migrationspolitik fort, die sich kaum mit dem Zeitgeist verträgt. Die parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese behielt ihren Posten – und kettet „Sea-Eye“ oder „Sea-Watch“ an langwierige Verfahren. 

Ex-Innenminister muß sich  vor Gericht verantworten

Mittlerweile gibt es mehr beschlagnahmte NGO-Schiffe als zu Zeiten ihres Amtsvorgängers Salvini. Seit dem 13. Februar hat Lamorgese mit Nicola Molteni zudem einen neuen Ministerialdirektor. Parteibuch: Lega. Molteni erklärte kürzlich, daß es kaum vermittelbar sei, daß Italien eine rigide Corona-Politik gegen die eigene Bevölkerung verordne, aber Migranten das Virus ins Land bringen könnten. 

Mit dem neuen Ministerialdirektor sind ehemalige Mitarbeiter aus Salvinis Amtszeit in das Innenministerium zurückgekehrt. Die Lega verfügt im Kabinett Draghi in allen Schlüsselministerien über einen solchen Vertreter – neben ihren drei Ministern. Die Lega sitzt demnach nicht am Katzentisch, sondern ist integraler Bestandteil der Regierung. 

Themensetzung und Ämterverteilung sind dabei nicht die einzigen Facetten. Der laufende Prozeß gegen Salvini ist da nur ein weiteres Beispiel. Der Ex-Innenminister soll sich wegen seiner Amtszeit verantworten – ihm wird Freiheitsberaubung vorgeworfen, weil er Migranten an der Anlandung hinderte. 

Kurz nach der Regierungsvereidigung war ein Termin mit Zeugenanhörung angesetzt. Die Presse hatte den Tag mit hohen Erwartungen verknüpft, weil nicht nur Lamorgese, sondern auch Luigi Di Maio gegen den Capitano aussagen sollten. Di Maio war im ersten Kabinett Conte Vizepremier und Wirtschaftsminister. Als die Lega die Regierung im Sommer 2019 verließ, fühlte sich Di Maio persönlich verraten. Man rechnete daher am Gericht mit einem Eklat. Doch Di Maio, mittlerweile Außenminister, belastete den alten wie neuen Koalitionspartner nicht. Die Rückkehr der Lega in die Regierung macht ihre politischen Gegner zahnlos – des Koalitionsfriedens willen.

Der Einstieg des Euroskeptikers Salvini in das Kabinett eines Brüsseler Technokraten hatte außerhalb Italiens für Verwirrung gesorgt. Doch Wähler wie konservative Medien hatten diesen Schritt nicht nur begrüßt, sondern teils auch eingefordert. Für die Lega hat sich die Regierungsarbeit zur Durchsetzung eigener Positionen und Verhinderung linker ideologischer Projekte in den ersten Monaten bewährt. 

Maximalziele können dabei allerdings keine erreicht werden. Der „coprifuoco“, die Sperrstunde, bleibt bestehen – trotz wochenlangen Streits, den Salvini geschürt hat. Enrico Letta, der neue Parteichef des PD, hat Salvini sogar angeraten, die Regierung zu verlassen, wenn er sich gegen Kabinettsbeschlüsse stelle. Doch die Debatte hat ihren Effekt: Gesundheitsminister Roberto Speranza stellte eine „Neubewertung“ der Ausgangssperren Mitte Mai in Aussicht. Eigentlich sollte eine solche Revision erst im Juli eintreten. Draghi schloß sich dieser Ansicht an. Er hatte bis dahin – geschwiegen.