© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Quarantäne im leeren Touristenhotel
Japan: Trotz Corona-Pandemie und Einreisestopp läuft die Wirtschaft unbeeindruckt weiter
Carl Moser

Während sich Europa quasi im Dauerlockdown befindet, setzt Japan auf Jishuku: Freiwillige Selbstdisziplin. Während in Deutschland noch vor „rechter“ Panikmache gewarnt wurde, stand das britische Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ mit 712 positiv getesteten Passagieren und Crewmitgliedern vom 5. bis 19. Februar 2020 im Hafen von Yokohama unter Quarantäne. Sieben von ihnen starben an Covid-19, 32 kritische Fälle überlebten. Der Kapitän durfte erst am 2. März das Schiff verlassen.

Der erste Corona-Fall wurde am 15. Januar 2020 bestätigt, doch wahrscheinlich kam das „China-Virus“ früher nach Japan. 2019 hatte das Land der aufgehenden Sonne einen neuen Besucherrekord vermeldet: 31 Millionen ausländische Touristen reisten ein. 30 Prozent davon kamen aus China, vor allem mit dem Ziel, japanische Qualitätsprodukte wie Kosmetika einzukaufen. Auf Osakas berühmter Dōtonbori-Straße war beim Flanieren kaum mehr ein Wort Japanisch zu hören.

Weitgehende Disziplin und offizielle Gelassenheit

Die japanische Regierung hatte 2008 das Ziel von 20 Millionen ausländischen Touristen für 2020 ausgeben. Da dieses bereits 2016 erreicht wurde, verdoppelte es der damalige Premier Shinzō Abe. Da sein Kabinett dies und die für Juli 2020 geplanten Olympischen Spiele in Tokio nicht gefährden wollte, übte man sich demonstrativ in Gelassenheit. Abe lehnte einen Lockdown ab. Yuriko Koike, Gouverneurin der 14 Millionen Einwohner zählenden Präfektur Tokio, agierte hingegen im März 2020 wie eine ostasiatische Kopie von Angela Merkel: „Bleibt zu Hause, die Kirschen werden auch im nächsten Jahr wieder blühen“. Doch die Bürger ignorierten die Kirschblütenfest-Absage, sie trafen sich unter prächtigsten Kirschbäumen in den Parks, um dort mit Freunden oder Kollegen mit Bier und Sake (Reiswein) auf den Frühlingsanfang anzustoßen. Anders als in Europa kam es nicht zu einem massiven Anstieg der Infektionszahlen. Dennoch verhängte die Regierung am 7. April 2020 in den Regionen Tokio und Osaka den Ausnahmezustand. Restaurants sollten um 20 Uhr schließen, die Karaoke-Bars durften gar nicht öffnen.

Die Betreiber wurden durch üppige Subventionen zur Kooperation ermutigt: Nicht wenige Gastronomiebetriebe verbuchten so einen höheren Geldeingang, als sie in einem normalen Monat an Umsatz erwirtschaften. Supermärkte, Kaufhäuser oder Friseure blieben jedoch geöffnet. Der ÖPNV fuhr regulär, die Pendler drängten sich wie gewohnt in U- und S-Bahn. Die Maskenbenutzung ist ohnehin seit Jahren für viele Routine. Gleichzeitig wurde aber ab 3. April 2020 allen Ausländern die Einreise nach Japan untersagt – selbst wenn diese über einen längerfristigen Aufenthaltstitel verfügten. Obwohl so Zehntausende von ihren Familien getrennt wurden, gab es erst im September Lockerungen. Seither gilt eine zweiwöchige Quarantänepflicht für Rückkehrer, die aber zu Hause absolviert werden durfte.

Innerhalb Japans gab es ab Mitte Mai Lockerungen. Gleichzeitig wurden jedem Bürger – ähnlich wie in den USA – einmalig 100.000 Yen (umgerechnet 750 Euro) ausbezahlt, um so wieder Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Am härtesten hat es den Tourismussektor getroffen. Daher wurde bei Inlandsreisen ein Rabatt von 35 Prozent auf Hotelübernachtungen gewährt. Voraussetzung dafür war lediglich, daß das Reiseziel außerhalb der Heimatpräfektur lag. Weitere 15 Prozent des Hotelpreises wurden den Gästen als Gutschein für regionale Geschäfte und Restaurants an der Rezeption ausgehändigt. Die „Go-to-Travel“-Kampagne wurde ein großartiger Erfolg. Viele Japaner erfüllten sich so lange gehegte Reisewünsche, sei es nun ins tropische Okinawa oder auf die im Sommer angenehme Nordinsel Hokkaido. Daraufhin wurde im Oktober „Go-to-Eat“ propagiert – 25-Prozent-Rabattgutscheine für alle Restaurants.

Erst als Anfang Dezember der Sieben-Tage-Durchschnitt der Neuinfektionen im 126 Millionen Einwohner zählenden Inselstaat auf über 2.000 stieg, setzte der neue Premier Yoshihide Suga die Go-to-Kampagnen aus. Am 7. Januar 2021 wurde dann erneut der Ausnahmezustand ausgerufen, und die Gastronomie wurde wieder gebeten, um 20 Uhr zu schließen. Doch wegen der stark reduzierten Subventionen öffneten viele dennoch regulär. Auch die Diskotheken blieben geöffnet, teilweise mit langen Schlangen am Eingang.

Gewinnsteigerung beim Toyota-Konzern

Manche deutsche Journalisten verwirrte all das. So berichtete NDR-Korrespondentin Kathrin Erdmann für die ARD-Tagesschau unter dem Titel „Quarantäne wie im Knast“: „Die Hotelfenster sind nicht aufzumachen, die Klimaanlage geht nicht“. Daß die Fenster in den meisten Hotels in Japan auch vor Corona durch die Gäste nicht zu öffnen waren, schien der 50jährigen Berlinerin nicht aufgefallen zu sein. Daß die „Air Condition“ nicht funktioniert, ist im Land der Klimaanlagen – mit landesweiten Stromverbräuchen, bei dem Greta Thunberg Schnappatmung bekäme – ein absoluter Ausnahmefall.

Andere Ausländer, die die dreitägige Quarantäne im Hotel durchlaufen hatten, bevor sie weitere elf Tage in häuslicher Quarantäne verbringen mußten, berichteten von zwar kleinen, aber komfortablen Zimmern, ausgerüstet mit Großbild-TV und kostenlosem Zugang zu internationalen Streamingdiensten. Allerdings wird die Quarantäne per App überwacht: Täglich um 11 Uhr müssen sie über die japanisch-koreanische Whats-App-Konkurrenz Line ihren aktuellen Aufenthaltsort bestätigen. Und die kostenlose japanische Hotelverpflegung ist allemal gesünder als „Continental Breakfast“ oder Pizza. Und drei Tage ohne Alkohol sind keine Folter.

Auch bei den Sars-CoV-2-Folgen steht Japan deutlich besser da. Deutschland verzeichnete bis vorige Woche 3,4 Millionen positiv Getestete und 83.000 Covid-19-Opfer. Im anderthalbmal so einwohnerreichen, aber deutlich älteren Japan waren es 590.000 Infektionen und 10.000 Tote. Ein Grund für die niedrigen Infektionszahlen ist sicherlich die Tatsache, daß in Japan weniger getestet wurde als in Deutschland. Daß die Corona-Infektionen in den meisten Fällen einen milden Verlauf nahmen, könnte damit zusammenhängen, daß die Japaner durch ihre traditionell sehr fischreiche Ernährung über einen deutlich höheren Vitamin-D3-Spiegel verfügen.

Hinzu kommt, daß die Japaner die Pandemie-Maßnahmen breitwillig mittrugen und das Leben weitestgehend unverändert weiterging. „Querdenker“ wie in Europa oder den USA hätten hier einen schweren Stand. Das Bruttoinlandsprodukt ist zwar im Pandemiejahr um real 4,8 Prozent geschrumpft, doch die japanische Industrie produzierte – abgesehen vom globalen Chip-Mangel und dem Exporteinbruch – weitgehend unbeeindruckt weiter.

Der Autokonzern Toyota erzielte voriges Jahr einen Umsatz von umgerechnet 226,7 Milliarden Euro – nur 2,2 Milliarden Euro weniger als 2019. Der Jahresüberschuß stieg sogar von 14,3 auf 15,7 Milliarden Euro. Die Umsatzrendite stieg auf sieben Prozent, die Dividendenrendite blieb bei 3,4 Prozent.






Carl Moser ist Betriebswirt und lebt seit 2011 mit seiner Familie in Japan.