© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

„Unsere Bauern brauchen Böden“
Agrarwirtschaft: Deutsche Landwirte als Spielball zwischen Bund und Ländern / Finanzstarke „Heuschrecken“ und Anleger greifen nach immer mehr Ackerland
Paul Leonhard

Ackerland ist Gold wert. Das wissen Hedgefonds, Großkonzerne, Versicherungen oder Familienstiftungen. Nach einer aktuellen Studie des Thünen-Instituts waren 2017 bei jedem dritten Agrarbetrieb in den neuen Bundesländern ortsfremde Investoren die Mehrheitseigentümer. Am höchsten war ihr Anteil in Mecklenburg-Vorpommern mit 41 Prozent. Hier schuften die Pächter für den Großindustriellen Silvio Dornier, den Heiztechniker Martin Viessmann, die Pharmafirma Merkle oder Remondis-Gründer Ludger Rethmann, die alle Tausende Hektar Ackerland aufgekauft haben.

„Es besteht die Gefahr der Entfremdung innerhalb der Gemeinden“, warnen die Thünen-Experten. Schuld an diesem „Land Grabbing“ seien die Landesregierungen, die mit Ausnahme Baden-Württembergs dieser Entwicklung tatenlos zuschauten. Für Schlagzeilen sorgte dabei der Thüringer Ex-Bauernpräsident Klaus Kliem, der seinen Stammbetrieb Adib mit 6.000 Hektar für angeblich 14,7 Millionen Euro an die Aldi-Erben veräußerte.

Vorkaufsrecht für „echte Landwirte aus der Region“

Ein Vorgang, der in seiner „Skupellosigkeit neue erschreckende Maßstäbe gesetzt“ habe, so Michael Grolm, Chef der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland (AbL), die Kliem prompt den Schmähpreis „Heuschrecke des Jahres“ verlieh. Wie Kliem als früherer SED-Agrarfunktionär zu seinem Millionenbesitz gekommen war, hatte der Spiegel (33/97) recherchiert. Dieser zeigte, auf welche Weise mit CDU-Rückendeckung „aus roten Baronen einflußreiche Kapitalisten“ wurden.

Die Familie Kliem verkaufte 2020 an die Boscor GmbH & Co. KG. Deren Hauptgesellschafter ist die Lukas-Stiftung, eine der Aldi-Familienstiftungen mit Sitz in Schleswig-Holstein. Da es sich um einen Anteilskauf (Share Deal) handelt, erfolgte der Flächenübergang ohne Regulierung durch die Agrarbehörden. Das Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (GrdstVG) wurde so elegant umgangen. Die ursprünglich aus der SED hervorgegangene Linke im Thüringer Landtag warnt inzwischen vor einer „marktbeherrschenden Stellung am Bodenmarkt“.

Die Share Deals, bei denen Investoren nur die Gesellschaftsanteile an Agrarflächen kaufen, sollen einer Genehmigungspflicht unterworfen werden. Hinzu kommen ein Preisdeckel, ein Vorkaufsrecht für „echte Landwirte aus der Region“ und mehr Land in öffentlicher Hand. Dazu sollten die Bundesländer Zweckvermögen einrichten, mit denen die Siedlungsgesellschaften Agrarflächen kaufen können, um sie an Landwirte zu verpachten. Auch Agrarministerin Julia Klöckner ist alarmiert. Die CDU-Politikerin initiierte die Thünen-Studie zur Frage, warum Investoren gerade auf dem Gebiet der Ex-DDR so aktiv sind.

Im Bundesdurchschnitt stiegen zwischen 2005 und 2019 die Kaufpreise für Ackerland um mehr als 200 Prozent. Inzwischen gehören knapp 60 Prozent der Agrarflächen nicht mehr jenen, die sie bestellen. Kostete vor zwölf Jahren ein Hektar im Schnitt 11.000 Euro, so kletterte der Preis 2020 auf 26.439 Euro. Und mit den Bodenpreisen steigen die Pachten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von im Schnitt rund 220 Euro pro Jahr und Hektar (2001/2002) auf gut 360 Euro (2019/2020).

Daß angesichts dieser Preisspirale die Bauernschaft nicht auch noch in artgerechterte Tierhaltung oder den Umwelt- und Klimaschutz investieren kann, leuchtet auch Julia Klöckner ein. Und da im Zweifel die Spekulationsgewinne von Investoren nachrangig sind, hat die CDU-Politikerin jetzt den Länderagrarministern einen Brandbrief geschrieben. Darin greift sie das auf, was die Bundesregierung der AfD-Fraktion im August 2020 auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt hat: Der landwirtschaftliche Boden ist vor dem Einfluß der Finanzmärkte kaum noch geschützt.

Die Länder sollten daher das Grundstücksrecht novellieren und Gesetzeslücken schließen. Passiert ist bisher nichts. Agrarflächen sind weiterhin ein Spekulationsobjekt, wie Klöckner beklagt: „Was für außerlandwirtschaftliche Investoren ein gutes Geschäft ist, ist für unsere Bauern eine große Gefahr: Sie verlieren einen fairen und bezahlbaren Zugang zu Ackerflächen, die ihnen das Einkommen sichern: Bauern brauchen Böden.“

Das Bodenrecht sei an die heutigen Herausforderungen anzupassen. Dahinter steckt die Drohung: Handeln die Länder nicht, zieht der Bund die Initiative an sich: „Die dringend notwendige Reform darf in den Ländern nicht wie eine heiße Kartoffel von Landesregierung zu Landesregierung weitergegeben werden. Hier müssen jetzt endlich Taten folgen.“ Share Deals sollten in das Bodenrecht einbezogen werden. Die doppelte Grunderwerbssteuer für Landgesellschaften soll bei Ausübung des Vorkaufsrechs entfallen und die Spekulationsschwelle herabgesetzt werden. Die bisherige Praxis des Nichtanzeigens von Pachtverträgen soll als Ordnungswidrigkeit geahndet und die Preismißbrauchsregelungen sollen konsequent angewendet werden: Danach muß die Pacht in einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag stehen. Auch die AbL-Forderung, große Flächen in kleine Lose aufzuteilen sind, findet sich im Klöckner-Papier wieder.

„Auswirkungen überregional aktiver Investoren in der Landwirtschaft auf ländliche Räume“ (Thünen Report 80/21): www.thuenen.de