© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Brüssels Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Menschen ohne Bleiberecht in der EU: Die Kommission will künftig die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung besser durchsetzen
Curd-Torsten Weick

Der Erfolg einer Rückkehrpolitik muß sich daran messen lassen, wie viele Menschen tatsächlich auch in ihr Herkunftsland zurückkehren. Doch wie soll das geschehen? Freiwillig? Unter Zwang?

 Harald Vilimsky, Leiter der FPÖ-Delegation im Europaparlament, stellt der EU-Kommission hier eine schlechte Note aus. „Daß die EU jetzt darauf setzt, daß illegale Migranten freiwillig wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollen, kommt einer Kapitulation gegenüber der Durchsetzung von geltendem Recht gleich“, erklärte Vilimsky. Er bezog sich dabei auf Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die vergangene Woche ihre EU-Strategie für die nachhaltige, freiwillige Rückkehr illegaler Migranten in Europa vorgestellt hatten.

Schlechte Quote entsetzt auch Brüssel

„Nur ein Drittel der Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in der EU aufhalten, weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden, verläßt die Union auch tatsächlich. 2019 haben rund 513.000 Personen die Anordnung erhalten, die EU zu verlassen. Aber nur rund 162.000 haben dieser Anordnung auch Folge geleistet. Hier wird bestehendes Recht schlicht und einfach ignoriert und nicht mit gebotenem Nachdruck durchgesetzt“, so Vilimsky. Der Kern einer EU-Asylpolitik müsse sein, Personen ohne Recht auf Schutz erst gar nicht einzulassen und alle, die kein Recht haben, hier zu sein, rasch und konsequent abzuschieben, so der FPÖ-Politiker. „Mit der vagen Hoffnung auf Freiwilligkeit wird sich am Desaster der mangelnden Rückführungen aus der EU nichts ändern.“

Die schlechte Quote moniert auch Ylva Johansson, doch an der EU-Kommissionstrategie will sie keine Zweifel aufkommen lassen. „Unsere neue Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung wird es Rückkehrern aus der EU und aus Drittländern leichter machen, Chancen in ihren Herkunftsländern wahrzunehmen, zur Entwicklung ihrer Gemeinschaften beitragen, das Vertrauen in unser Migrationssystem stärken und ihm zu mehr Wirkung verhelfen“, erklärte die sozialdemokratische Schwedin. EU-Vizepräsident Margaritis Schinas sprang ihr bei: „Europa wird ein Asylziel für diejenigen bleiben, die vor Verfolgung und Krieg fliehen. Personen ohne Aufenthaltsrecht müssen jedoch in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden. Wenn sie dies nicht tun, wird die Glaubwürdigkeit unseres Systems untergraben und wir können diejenigen nicht schützen, die es benötigen“, betonte der liberal-konservative Grieche.

Gern verweist die EU-Kommission in diesem Kontext auf eine Schätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments. Ihr zufolge kosten Rückführungen 3.414 Euro pro Person, gegenüber Kosten von 560 Euro pro freiwilliger Rückkehr.

Bei einer Schätzung der Kosten der freiwilligen Rückkehr, so die Kommission, sollten die Geld- und Sachleistungen für den Rückkehrer, der Flug und gegebenenfalls das Wiedereingliederungspaket eingerechnet werden. Bei Rückführungen entstünden dagegen Kosten für die Unterbringung des Rückkehrers in der Abschiebungshafteinrichtung sowie die Bezahlung von Begleitpersonen und anderer Sondervorkehrungen vor, während und nach der Rückführung. 

Rund 75 Prozent der Kosten für die Durchführung von Programmen für die unterstützte freiwillige Rückkehr wurden aus EU-Mitteln finanziert, der Rest aus den nationalen Haushalten. 

Im neuen Finanzzyklus 2021–2027 will die EU ihre Rolle weiter ausbauen. Dabei will Brüssel während des gesamten Prozesses die Koordinierung gewährleisten. Mit dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) für den Zeitraum 2021–2027 will die Kommission die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Förderung der freiwilligen Rückkehr aus der EU begleiten und Mittel für Programme für die unterstützte freiwillige Rückkehr und für erste Schritte zur Wiedereingliederung in die jeweiligen Länder bereitstellen.

Die in der vergangenen Woche vorgelegte „EU-Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung“ ist integraler Bestandteil des von Brüssel propagierten gemeinsamen EU-Rückkehrsystems, das ein zentrales Ziel des neuen Migrations- und Asylpakets ist. Die Strategie führt praktische Maßnahmen auf, mit denen der rechtliche und operative Rahmen für eine freiwillige Rückkehr aus Europa und aus Transitländern sowie die Qualität der Rückkehr- und Wiedereingliederungsprogramme verbessert, Migrations- und Entwicklungspolitik enger miteinander verknüpft und vor allem die Zusammenarbeit mit Partnerländern intensiviert werden sollen.

Ein „erfolgreicher Prozeß der freiwilligen Rückkehr“ beginnt laut Kommission mit einer „maßgeschneiderter Öffentlichkeitsarbeit und Dialogen zwischen einem Berater und dem Migranten, bei denen der Migrant zeitnahe, aktuelle und relevante Informationen über seinen Status und das Angebot der unterstützten freiwilligen Rückkehr“ erhalte. 

Dieser Dialog sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Migrationsprozesses stattfinden, gegebenenfalls auch während des Asylverfahrens, beispielsweise bei Personen aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote. Der Prozeß sollte dem Migranten dabei helfen, eine „sichere und würdevolle Rückkehr zu planen, und eine Atmosphäre des Vertrauens und der Kooperation zwischen dem Migranten und dem Berater schaffen“.

Als Beispiel bereits bestehender Zusammenarbeit mit Partnerländern verweist Brüssel auf Tunesien. Hier finanziere der EU-Treuhandfonds für Afrika die „sozioökonomische Wiedereingliederung“, der zur „Einrichtung eines von Tunesien geleiteten Wiedereingliederungsmechanismus“ beitrage. Ziel ist es, die Kapazitäten der tunesischen Behörden zur Wiedereingliederung auf zentraler und lokaler Ebene zu stärken, die Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu verstärken und die Vermittlung an den nationalen Wiedereingliederungsmechanismus zu fördern. 

Gern verweist die EU-Kommission auf die gemeinsame Initiative der EU und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) für den Schutz und die Wiedereingliederung von Migranten, die ebenfalls aus dem EU- Treuhandfonds für Afrika finanziert wird.

 Neben anderen Maßnahmen habe die gemeinsame Initiative die freiwillige Rückkehr und die nachhaltige Wiedereingliederung in der Sahelzone und im Tschadseebecken, am Horn von Afrika und in Nordafrika unterstützt und zur Stärkung der Migrationssteuerungsstrukturen in Drittländern beigetragen. Von April 2017 bis Oktober 2020 habe sie 75.182 Migranten bei der Wiedereingliederung sowie die „humanitäre Rückkehr“ von 34.646 Migranten aus Libyen in deren verschiedene Herkunftsländer unterstützt.

Frontex erhält „robusteres Mandat“ 

Vor diesem Hintergrund kritisiert Brüssel immer wieder die „uneinheitliche Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung“  durch die EU-Partnerländer. Die Mitgliedstaaten verfolgten unterschiedliche Ansätze, es gebe keinen gemeinsamen Rahmen und die Mitgliedstaaten arbeiteten in unterschiedlichem Maße mit den betreffenden Drittländern zusammen, so die Kritik der EU-Kommission.

„Es wird keine europäische Migrations- und Asylpolitik ohne ein bedeutendes Rückkehrverfahren geben“, betonte Margaritis Schinas und skizzierte das „robustere Mandat“ der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache: „Frontex wird die Rückführungsagentur der Europäischen Union werden.“ Die Agentur soll den Mitgliedstaaten künftig in allen Phasen des Prozesses der freiwilligen Rückkehr „operative Unterstützung“ leisten, darunter Beratung vor der Rückkehr Unterstützung nach der Ankunft und Überprüfung der Wirksamkeit der Wiedereingliederungshilfe.

Doch Frontex steht seit längerem in der Kritik. Die Türkei, Linke, Sozialdemokraten und in vorderster Front die niederländische Grünen-Politikerin Tineke Strik werfen der Agentur vor, an illegalen Pushbacks von Griechenland in Richtung Türkei beteiligt gewesen zu sein. 

Anfang der Woche warfen gemeinsame Recherchen der Medienorganisation „Lighthouse Reports“, des ARD-Magazins Monitor, der französischen Zeitung Libération und des Spiegel der EU-Agentur vor, der explizit von Italien unterstützten libyschen Küstenwache bei Rückholung von Migranten vom Mittelmeer zu helfen. Frontex-Flugzeuge der europäischen Grenzschutzagentur hätten die „Position von Booten mit Migranten an die libysche Küstenwache“ weitergegeben, die diese dann zurück nach Libyen gebracht hätten, so der Vorwurf der Medien.

Außer acht ließen Spiegel und Co., daß das Schiff der libyschen Küstenwache „Fezzan“ allein am 1. und 2. Mai 262 Migranten, darunter 24 Frauen und 16 Kinder, in getrennten Einsätzen „gerettet“ hat. Alle gingen im Marinestützpunkt Tripolis von Bord und wurden von IOM-Mitarbeitern empfangen.

Foto: Migranten in Tripolis: Papiere für die „freiwillige Rückführung“ nach Nigeria, die von der UN-Organisation für Migration (IOM) begleitet wird