© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Willkürliches Abwägen
Heuchlerisch: Die Woche der Meinungsfreiheit
Boris T. Kaiser

Sie hätte ein befreiendes Signal werden können, die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte „Woche der Meinungsfreiheit“ (3.–10. Mai), in der wir uns gerade befinden. Schließlich sind es gerade keine guten Zeiten für die Freiheit des Wortes. Die „Cancel Culture“, die Kultur des Zurechtstutzens und Entfernenenwollens von allem und jedem, was der eigenen Meinung und den willkürlichen Regeln der Politischen Korrektheit widerspricht, breitet sich immer weiter aus. Das mußten zuletzt unter anderem Schauspieler erfahren, die mit ihrer Teilnahme an einer Videokampagne gegen den Lockdown das Kollektiv der Maßnahmenbefürworter in Rage gebracht hatten.

Protestaktionen gegen konservative Verlage

Wer die „Charta der Meinungsfreiheit“ liest, die auf der Internetseite zur Aktionswoche präsentiert wird, dürfte allerdings schnell feststellen, daß es den Köpfen hinter der Kampagne nicht wirklich darum geht, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Zwar betonen die ersten drei Punkte der Erklärung noch die Meinungsfreiheit, einschließlich der „Pressefreiheit sowie die Freiheit des Publizierens und der Berichterstattung“ als „universelles Menschenrecht“ und „Grundvoraussetzung für eine freie, vielfältige und demokratische Gesellschaft“. Und selbst Punkt vier spricht noch vom „Umgang, der von gegenseitigem Respekt, Zuhören, Ausredenlassen, Reflexion und argumentativem Abwägen geprägt ist“. Doch spätestens beim fünften Punkt der Charta kommt dann das große Aber: „Hetze und Haß werden nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern beschädigen sie. Die Meinungsfreiheit endet da, wo die Würde eines Menschen angegriffen wird“, heißt es da. Im Klartext bedeutet das wohl eher: Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind immer dann erreicht, wenn sich irgendwer von ihr angegriffen fühlt.

Der Börsenverein ist Veranstalter der Buchmesse, wo er in den letzten Jahren konservative und rechte Verlage in die hinterste Ecke verbannt und sogar Protestaktionen gegen sie unterstützt hat. Wenn es also in der Charta heißt: „Meinungsfreiheit bedeutet nicht, frei von Kritik zu sein“, oder: „Meinungsfreiheit erfordert eine Debattenkultur, für die sowohl der Staat wie auch die Zivilgesellschaft eine Verantwortung tragen“, muß man davon ausgehen, daß damit eben auch und gerade die bei der linken Kulturschickeria so beliebte „Cancel Culture“ gemeint ist. Die Verurteilung von Meinungsunterdrückung durch „Einschüchterung, Drohung und finanzielle Druckmittel“ wirkt geradezu heuchlerisch.