© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

„Brühl, haben wir noch Geld?“
Sächsische Historie: Die Autorin Christine von Brühl zeichnet 300 Jahre Familiengeschiche nach und versucht, ihre Vorfahren zu rehabilitieren
Paul Leonhard

Der Spruch ist in Sachsen legendär: „Brühl, haben wir noch Geld?“ Eine Frage, die der kunstsinnige, in pompöse Feste verliebte Sachsen-König August III. immer wieder seinem Premierminister Heinrich von Brühl (1700–1763) stellte und die dieser stets dienernd mit Ja beantwortete, um dann für seinen Herren die gewünschten Summen aufzutreiben.

So beschreibt es zumindest der lange im Dresdner Exil lebende polnische Schriftsteller Ignacy Kraszewski in seiner berühmten Sachsen-Trilogie. Und nach dieser drehte wiederum das DDR-Fernsehserie Mitte der 1980 den Sechsteiler „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, der ein Straßenfeger war und für heftigen Streit innerhalb der herrschenden Einheitspartei sorgte, belebte er doch die permanent schwelende Abneigung zwischen den Sachsen und den (offiziell nicht mehr existierenden) Preußen.

Die Serie zementierte aufs neue den Ruf von Heinrich von Brühl als Verräter, Verschwender und gewissenlosen Emporkömmling, der entscheidend zum Niedergang des prosperierenden Kurfürstentums Sachsen beigetragen hat. Was alles nicht stimmt, glaubt man Christine von Brühl, obwohl Sachsen tatsächlich 1756, noch vor dem preußischen Einmarsch, pleite war.

Rachefeldzug gegen Heinrich von Brühl

Die als Diplomatentochter in Ghana geborene, später in Polen lebende Wahl-Berlinerin bricht in ihrem Buch „Schwäne in Weiß und Gold“ eine Lanze für ihren Vorfahren und spricht von einer „preußischen Haßkampagne“, womit sie sogar recht haben könnte. Denn die Feldzüge von Preußenkönig Friedrich II. im Zuge der österreichischen Erbfolge gegen Sachsen waren vor allem auch ein Rachefeldzug gegen Heinrich von Brühl.

Dieser befand sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Macht. 1737 von seinem Kurfürsten und polnischen König zum Reichsgrafen erhoben, war Brühl Standesherr auf Forst, Pförten und Seifersdorf, Starost der Zips, von Volinow, Lizinek und Biasezno, Vogt zu Bromberg und Besitzer zahlreicher Rittergüter. Er war kurfürstlich-sächsischer und königlich-polnischer Geheimer Kabinetts- und Konferenzminister, Polnischer Kronfeldzeugmeister, Sächsischer Wirklicher Geheimer Rat, General der Infanterie, Oberkammerherr, Oberkämmerer, Kammerpräsident, Obersteuerdirektor, Generalakzisedirektor, Oberrechnungsdeputationsdirektor, Bergdirektor, Kammerdirektor der Stifte Merseburg und Naumburg, Oberinspektor der Porzellanmanufaktur. Außerdem war er Dompropst zu Budissin (Bautzen), Domherr zu Meißen, Generalkommissar der Baltischen Seehäfen, Chef und Oberkommandant der Parforcejagd, Oberst eines leichten Reiter- und eines Infanterieregiments, Kommandeur der sächsischen Reiterei in Polen, Ritter des Polnischen Weißen, des Russischen St.-Andreasordens und des Preußischen Schwarzen Adlerordens.

Letzterer war Brühls Kainsmal. Die herausragende Auszeichnungen hatte der preußische König Friedrich Wilhelm I. dem kurfürstlichen Kammerherrn 1730 überreicht, und das stand wohl im engen Zusammenhang mit einem Ereignis, das alle kennen, die sich für die Geschichte Preußens interessieren: Der öffentliche Demütigung des preußischen Thronfolgers Friedrich durch seinen Vater, als er die Hochzeit mit der Tochter Ferdinand Albrecht II., Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel, verweigerte und seinem gescheiterten Versuch, nach Frankreich zu fliehen. Die Flucht wurde verraten, der Vertraute des Thornfolgers, Hans Hermann von Katte, hingerichtet.

Vom Kammerdiener zum Premierminister

Bis heute deuten alle Indizien daraufhin, daß es Brühl war, der die Fluchtpläne dem Soldatenkönig in Zeithainer Militärlager hinterbrachte, dafür vom König ausgezeichnet und von dessen Nachfolger „persönlich, hartnäckig, lebenslang“ verfolgt wurde, wie der Historiker Jürgen Luh schreibt. Während des Siebenjährigen Krieges ließ Friedrich II. den gesamten Besitz des nach Warschau geflüchteten Grafen Brühl im Kurfürstentum Sachsen von seinen Soldaten plündern und in Flammen aufgehen: das Palais in Dresden, das Anwesen in Grochwitz, die Schlößer Nischwitz, Pforten und Oberlichtenau. Es könnte aber auch das diplomatische Geschick Brühls gewesen sein, das ihn beim Preußenkönig verhaßt gemacht hatte. Denn er hatte es geschafft, daß aus den Erzfeinden Frankreich und Österreich Bündnispartner geworden waren.

Die Jahre zwischen seinem Verrat an Friedrich II. 1730 und dessen Einmarsch in Sachsen 1756 waren für Brühl gekennzeichnet von einer steilen Karriere vom Kammerdiener zum allmächtigen Premierminister. „Keine Strategie ist hinter Heinrichs Verhalten zu entdecken, kein kontinuierliches Machtstreben, eher die Begabung, über einen langen Zeitraum hinweg keinen Fehler zu machen“, schreibt Christine von Brühl: „Er beobachtete, wie sich der König verhielt, was ihm gefiel und wie er seinen Einfluß ausübte. Sämtliche Vorlieben und Geflogenheiten seines Herrschers gingen ihm nach und nach in Fleisch und Blut über, unzählige Male würde er sie zu dessen Wohl repertieren und reproduzieren, kraft dieser Erfahrungen später eigene Entscheidungen fällen und dabei immer des Zuspruchs seines Dienstherrn sicher sein.“

Am sächsischen und polnischen Hof war Brühl schon vor dem Vorfall in Zeithain unbeliebt. Die Höflinge neideten ihm seinen Aufstieg zum für die Privatangelegenheiten des Königs zuständigen Vertrauten, insbesondere nach dem er im Nachlass des verstorbenen Finanzministers Christoph Heinrich von Watzdorf Unregelmäßigkeiten aufgedeckt hatte. Später trat er die Nachfolge des wegen Insubordination entlassenen Finanzministers Graf Hoy an, übernahm zusätzlich das Amt des Außenministers, blieb erster Berater und engster Begleiter des Königs, der er alle Wünsche finanzierte.

Adel und Bürgertum verachteten den Grafen. Und in Potsdam notierte der Preußenkönig: „Brühl sei zaghaft, unterwürfig und geschmeidig, schurkisch und geschickt. Er besitze weder genug Klugheit, noch genug Erinnerungsvermögen, um seine Lügen zu verbergen. Er sei doppelzüngig, falsch und zu den niederträchtigsten Handlungen bereit, wenn es seine Stellung galt“, steht im Tagungsbericht „Histoire de mon temps“.

Jahrhunderte später stellte der ungarische Historiker Aladar von Boroviczeny in einer Biographie erstaunt fest: „Bei der Durchsicht der sehr umfangreichen Literatur über den Grafen Brühl begegnete ich zu meiner Überraschung bloß abfälligen Urteilen über den Mann. Und als ich an die unmittelbaren Quellen kam, fand ich nicht eine einzige historisch begründete Tatsache, welche das landläufige ungünstige Urteil über den sächsischen Premierminister rechtfertigte.“

Die Brühls verloren alle Güter

Leider seien dieser Stimmungsmache Friedrich II. nicht nur Generationen von Historikern gefolgt, sondern auch „zeitgenössische innenpolitische Kräfte“, bedauert Christine von Brühl. Als drei Wochen nach dem Tod August III. am 5. Oktober 1763 auch Brühl das Zeitliche segnete, leitete der neue sächsische Kurfürst Friedrich Christian ein Gerichtsverfahren ein, konfiszierte alle Güter, verhaftete die Mitarbeiter und ließ die Papiere des Premierministers versiegeln. Letztlich wurde der Reichsgraf zwar postum freigesprochen, aber nicht rehabilitiert.

Kurfürst Fran Xaver sorgte 1765 dafür, daß Brühls Nachfahren ihre Dresdner Palais, die Gemäldesammlung (heute in der Eremitage in St. Petersburg zu besichtigen) und die Bibliothek an die Wettiner abtreten mußte, im Grunde genommen alles, was Heinrich von Brühl während seiner Dienstzeit für zwei sächsische Herrscher erworben hatte.

„Der Fall war tief, die Wirkung niederschmetternd“, schreibt die Autorin: Nie wieder habe sich die Familie von diesem Sturz erholt. Dazu kam, daß die Brühls auch noch 1945 mit Schloß Pförten in der Niederlausitz ihren 1740 gestifteten Familiensitz an Polen verloren. Mit diesem ging auch das berühmte, mehr als 2.300 Teile umfassende Schwanenservice aus Meissener Porzellan verloren, das Heinrich von Brühl 1737 als Direktor der Meissner Manufaktur in Auftrag gegeben hatte.

Dieses dient jetzt der 58jährigen Autorin als roter Faden für die Erzählung ihrer Familiengeschichte. Denn einige Stücke werden in der Dresdner Porzellansammlung aufbewahrt und als deren Direktor die Brühls darüber informierte, stimmte der Familienrat – im Gegensatz zu dem der Wettiner, die fast alle Rückgaben auf Auktionen versteigern ließen – einem Dauerleihvertrag zu. Das sei das Versöhnliche an ihrem Buch, das auch eine Erkundungsreise über die Zerbrechlichkeit von Rum und Besitz ist, sagt Brühl: Daß es nicht um Besitz, sondern um Zusammenhalt, Verantwortung, identitätsstiftendes Wirken gehe, und das sei kein Vorrecht des Adels.

Christine von Brühl: Schwäne in Weiß und Gold.Geschichte einer Familie. Aufbau-Verlag, Berlin 2021, gebunden, Abb., 352 Seiten, 24 Euro