© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Auftragsmörder von Moskaus Gnaden oder nur ein Verrückter
Vor vierzig Jahren verübte der Türke Ali Agca ein Attentat auf Papst Johannes Paul II. / Der Hintergrund der Tat konnte bis heute nicht aufgeklärt werden
Jürgen W. Schmidt

Am 13. Mai 1981 hallten um 17.17 Uhr drei Pistolenschüsse über den Petersplatz. Der aus Polen stammende Papst Johannes Paul II. sackte in seinem Toyota-„Papamobil“ zusammen, aus welchem er gerade einige tausend fromme Pilger, die aus Polen, Ungarn, Deutschland und den USA angereist waren, begrüßte. Zwei Kugeln zertrümmerten seinen linken Zeigefinger bzw. streiften ihn am rechten Unterarm. Die dritte Kugel hingegen durchschlug mehrfach den Dünndarm des Papstes und trat schließlich nahe der Wirbelsäule aus seinem Rücken wieder aus. Für einige Tage bestand Lebensgefahr. 

Der schlanke 23jährige Attentäter, ein Mann von „südländischem“ Typus mit kurzgeschorenen dunklen Haaren, versuchte erfolglos zu fliehen. Schweizergardisten der päpstlichen Leibwache ergriffen und verhafteten den Mann noch am Tatort. Er erwies sich als der am 9. Januar 1958 in Anatolien geborene türkische Staatsbürger Mehmet Ali Agca. 

Schnell führte die Spur zum bulgarischen Geheimdienst

Nach der Festnahme plauderte Ali Agca wie ein Wasserfall und machte drei Bulgaren als seine Hintermänner namhaft. Es handelte sich um den Kassierer und den Sekretär des Militärattaches der bulgarischen Botschaft in Rom sowie um den stellvertretenden Büroleiter des römischen Büros der bulgarischen Fluglinie „Balkan-Air“. Alle drei wären Offiziere des bulgarischen Geheimdienstes und hätten, mit Pistolen bewaffnet, auf dem Petersplatz bereitgestanden, um ihm mittels Pistolenschüssen und Blendgranaten das Entkommen zu ermöglichen. Damit war erfolgreich die „bulgarische Spur“ gelegt, welche bis heute durch seriöse Bücher, Fernsehdokumentationen und Spionageromane geistert. Hinter dem bulgarischen Geheimdienst, bekannt für seine Neigung zu „nassen Sachen“, stand angeblich der KGB, welcher den polnischen Papst, der durch seine Popularität in Polen und Osteuropa an den Grundfesten des Sozialismus rüttelte, zu liquidieren suchte. 

Doch ganz so leicht war es dann doch nicht. Die „bulgarische Spur“, obwohl immer wieder aufs neue beschworen, erwies sich als unbeweisbar. Als man nach der Wende die Stasi-Archive musterte und öfter verkündete, man habe beim Papst-Attentat die Hand des MfS entdeckt, erwies sich das letztlich als trügerisch. Der Attentäter Mehmet Ali Agca hingegen, dies ist jedenfalls fest erwiesen, war eine gefährliche Kriminellennatur mit psychopathischen Zügen. In der Türkei war er als Anhänger der „Grauen Wölfe“ bekannt, einer ultrachauvinistischen Organisation. Als Kriminellen, der in mehrere Auftragsmorde verwickelt war, hatten ihn südosteuropäische und türkische Polizeibehörden erfaßt. 

Hinzu kam, daß Ali Agca immer wieder mit dreisten, halbverrückten Aussagen auf sich aufmerksam zu machen suchte. Stand anfangs gemäß Ali Agca hinter dem Papstattentat der bulgarische Geheimdienst mit dem KGB und KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew im Rücken, so behauptet er in seinen 2013 erschienenen Memoiren urplötzlich, Ayatollah Chomeini habe ihn persönlich mit dem Papstattentat betraut. Obwohl der nach einer Amnestie nach abgesessenen 19 Haftjahren seit dem Jahr 2000 wieder in der Türkei lebende Agca aktuell erneut den „Grauen Wölfen“ nahezustehen scheint, hatte er um 2008 eine kurzzeitige christliche Phase in seinem Leben. Er behauptete, ein „spiritueller Bruder“ von Papst Johannes Paul II. zu sein, trat angeblich zum Katholizismus über und bat erfolglos um die Verleihung der polnischen Staatsbürgerschaft. Diese Dinge bestärken die Annahme, daß Ali Agca gar keine Hintermänner bei seinem Attentat besaß und bei seinem Mordversuch von blanker Ruhmsucht getrieben war. Allerdings paßte die „bulgarische Spur“ gewissen westlichen Kreisen politisch gut ins Konzept, so daß man diese Behauptung lange am Köcheln erhielt.