© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/21 / 07. Mai 2021

Adrett und sportlich
„Casuals“: Modetrends aus der Hooliganszene haben längst Einzug in den Mainstream gehalten
Björn Harms

Für Politiker und Moralwächter stellen sie ein rotes Tuch dar, doch daß Hooligans neben ihrer Gewalttätigkeit auch einen erheblichen kulturellen Einfluß hatten und haben, ist mittlerweile kaum mehr auszublenden. Insbesondere die Modewelt profitiert seit Jahren von Trends, die sich ursprünglich aus der sogenannten Casual-Szene des Fußballs entwickelten. Was verbirgt sich hinter dieser Bewegung, die ihren Anfang in den späten 1970er Jahren in Großbritannien nahm?

Ein Großteil der Jugendlichen auf den Tribünen des Landes fühlte sich zu jener Zeit der Skinhead-Bewegung zugehörig. Sie provozierten Gesellschaft und Polizei schon allein durch ihr Äußeres, fielen dazu beim Fußball immer wieder mit Gewalttaten auf. Ihre schlichte „Uniform“ bestand meist aus kahlrasierten Haaren, Springerstiefeln, Polohemd und Hosenträgern. Den Blicken der Polizei konnten sie so kaum entkommen. Einigen jungen Rowdys des FC Liverpool (der Begriff „Hooligan“ entwickelte sich erst zaghaft) ging die ständige Bewachung auf den Senkel. Sie wollten ihrem jugendlichen Drang nach Gewalt, sprich dem Messen mit Anhängern des gegnerischen Vereins, ungezügelt nachgehen.

Der FC Liverpool spielte zu dieser Zeit regelmäßig im Europapokal. Bei ihren Ausflügen auf den Kontinent ließen sich die Straßenkids aus der Hafenstadt von modischen Europäern inspirieren. Auffällige französische und italienische Sportbekleidung von Marken wie Lacoste, Sergio Tacchini, Diadora, New Balance, Ellesse und Fila fand den Weg nach England, mal auf legalem Wege, meist aber mittels konzertierter Raubzüge durch europäische Modeboutiquen. Während die Polizei also nach gewalttätigen Skinheads Ausschau hielt, schlichen die stilsicheren Liverpooler Hooligans, gekleidet wie prominente Tennisstars, gekonnt an ihnen vorbei. Dazu noch die Haare ein bißchen länger wachsen lassen, und die Tarnung war perfekt. Harmlose Bubis in teurer Markenkleidung konnten doch keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen!

Nach und nach infizierte sich das ganze Land. Gewaltbereite junge Männer aus der Arbeiterklasse kultivierten einen neuen Stil auf den Tribünen, um sich mit Statussymbolen von den klassischen Fans abzugrenzen. Ein rauher und zugleich hedonistischer Mix aus Klamotten, Musik, Alkohol, Drogen, Frauen und natürlich Fußball wurde zum Lebensinhalt. Man nannte sie zunächst Scallies, Perry Boys oder Dressers. Anfang der 1980er Jahre blieb nur noch eine Bezeichnung hängen: Casuals.

Filme kultivierten die Marken

Mitunter führten die ritualisierten Begegnungen verfeindeter Hooligan-„Firms“ zu skurrilen Ergebnissen, wie der britische Modejournalist und Fußball­anhänger Robert Elms in seinem Buch „The Way We Wore“ anhand einer Auswärtsfahrt nach Coventry beschreibt: „Einige der Top-Jungs von Coventry City trugen Fila, was damals der letzte Schrei war, aber in London seit mindestens einem Monat aus der Mode gekommen war. Anstatt uns auf sie zu stürzen, haben wir sie einfach für ihre kleidungstechnische Langsamkeit fertiggemacht. Als es ihnen dämmerte, daß sie in Sachen Stil überflügelt worden waren, konnte man sehen, wie der Wille zum Wettbewerb schwand. Sie waren geschlagen, und sie wußten es.“

Spätestens in den frühen 1990er Jahren schwappte die „Casual“-Bewegung über ganz Westeuropa. In Großbritannien dominierte die „Britpop“-Ära mit Bands wie Oasis und Blur. Der Freizeitlook wurde smarter und noch elitärer. Marken wie Stone Island, C.P. Company, Aquascutum, Ben Sherman, Paul & Shark, Burberry, Henri Lloyd und Armani waren der letzte Schrei. Adidas-Sneaker, am besten selten und kaum erhältlich, gehörten zum Standard-Repertoire. In der Bomberjacken-Hochburg Deutschland entwickelte sich parallel ein etwas rustikalerer Stil, ergänzt um Marken wie Chevignon, Iceberg oder Best Company.

Als Ende der 1990er die Gewalt in den Stadien zurückging, wurde der Modestil der Fußballszene vermehrt vom Mainstream adaptiert. Nicht jeder Träger von Stone-Island-Jacken war nunmehr als Fußballgewalttäter oder reicher Sylt-Urlauber erkennbar. Filme wie „Football Factory“ (2004) und „Hooligans“ (2005) kultivierten den Lifestyle für ein breites Publikum.

Mit der riesigen Reichweite der sozialen Medien vergrößerte sich das Spektrum nochmals. Auch Rapstars, junge Influencer und Berufstätige in Medien und Werbung greifen mittlerweile wie selbstverständlich zu ursprünglich fußballaffinen Marken. Rechte Politaktivisten tragen allzu gerne New-Balance-Sneaker und Lyle & Scott-Shirts, also eine Modekombination, die auf den Tribünen Westeuropas schon vor 20 Jahren anzutreffen war. Selbst die Antifa hat keine Scheu mehr, Fred-Perry-Hemden zu tragen, die sich in der als rechts geltenden Casual-Szene der 1990er Jahre großer Beliebheit erfreuten. Auf Instagram findet man unter Hashtags wie #casualculture Tausende Posts, in denen unterschiedlichste Kleidungsvarianten präsentiert werden. In spezialisierten Online-Shops läßt sich nahezu alles finden, was das „Casual“-Herz begehrt.