© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Mißtrauen ist angebracht
Regierungshandeln in Corona-Zeiten: Wenn „Verschwörungstheorien“ plötzlich wahr werden
Michael Paulwitz

An der Börse und in der Politik ist Vertrauen die wichtigste Währung. Auch in dieser Hinsicht ist die Bundesregierung nach über einem Jahr Corona-Politik so gut wie bankrott. Das Frühjahr brachte einen regelrechten Kurssturz. Die Zustimmungsraten sind seither im Keller, wie Statista ermittelte: Aktuell hat gerade mal jeder zehnte Deutsche noch „viel“ oder „sehr viel“ Vertrauen, vierzig Prozent trauen der Corona-Politik der Bundesregierung wenig bis gar nicht mehr.

Zuzuschreiben hat die Regierung Merkel das grassierende Mißtrauen vor allem sich selbst, ihrer erratischen Politik und desaströsen Kommunikation. Das monatelange Hin und Her um die Beschaffung von Impfstoffen und die Organisation von Impfangeboten hat dem regierungsamtlichen Corona-Chaos die Krone aufgesetzt. Mehr noch als die Organisationsmängel, die mit der willkürlichen Delegierung der Impfstoff-Bestellungen an die offenkundig unfähige EU-Kommission ihren Anfang nahmen, haben gebrochene Versprechen und irreführende Beschwichtigungen das Vertrauen der Bürger erschüttert.

Vielen dürfte noch in den Ohren klingen, wie treuherzig Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und weitere Regierungsmitglieder Ende Dezember 2020 eine mögliche bevorzugte Behandlung bereits geimpfter Personen weit von sich wiesen. Der Taschenspielertrick, die Rückkehr zu den verfassungsmäßigen Grundrechten für einen Teil der Bevölkerung als „Sonderrechte“ zu deklarieren, brachte damals schon einen falschen Zungenschlag in die Debatte. Inzwischen sind bescheidene Ausnahmen für Geimpfte von den generellen Grundrechtseinschränkungen auf dem Verordnungsweg zu geltendem Recht geworden.

Schon als vor gut einem Jahr erste Stimmen davor warnten, mit der Zulassung von Impfstoffen drohe eine „Impfpflicht durch die Hintertür“, weil Personen ohne Immunitätsausweis der Zutritt zu bestimmten Veranstaltungen und Lokalitäten verwehrt werden könnte, dementierte Spahn das als „Kampagne“, öffentlich-rechtliche „Faktenchecker“ leisteten fleißig Schützenhilfe und denunzierten derartige Befürchtungen als „Verschwörungstheorie“. Alles schon vergessen? Statt über ein nationales Gesetz kommt der Impfausweis jetzt als digitale „europäische“ Lösung. Medien und Politik preisen ihn als Schlüssel für die Rückkehr grenzüberschreitender Urlaubsreisen; diskutiert wird nur noch, wie der „digitale Impfpaß“ zu realisieren sei und ob er überhaupt noch rechtzeitig zu den Sommerferien komme.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, daß Bürger hellhörig werden, wenn erst die Kanzlerin von „schwierigen“ Situationen an Grundschulen mit ungeimpften Kindern im nächsten Schuljahr orakelt und wenig später der Deutsche Ärztetag das „Recht auf Bildung“ und „gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe“ an die allgemeine Impfung von Kindern knüpfen will. Der Zug zum faktischen Impfzwang für Kinder scheint auch für die Kleinsten längst zu rollen, obwohl für sie die Risiken am wenigsten untersucht sind, aber die Gefahr schwerer Covid-Krankheitsverläufe minimal ist.

Impfpaß und Impfpflicht als Ergebnis kollektiver Nötigung sind nicht die einzigen „Verschwörungstheorien“, die unversehens wahr geworden sind. Ein krasser Fall stand ganz am Anfang: Am 14. März 2020 warnte das Bundesgesundheitsministerium vor der Verbreitung von „Fake News“, wonach „bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens“ geplant seien. Zwei Tage später kamen die ersten Schließungen, und Spahn mußte zugeben, man habe schon länger vorgehabt, solche Maßnahmen zu ergreifen, man sei bloß nicht sicher gewesen, wann. Warum dann nicht von Anfang an ehrlich kommunizieren?

Wenig souverän wirkte auch, wie die Bundesregierung der globalen Begeisterung von Weltgesundheitsorganisation und Regierungen für das allgemeine Maskentragen hinterhereilte: Zu Anfang erklärte das Robert-Koch-Institut Masken für jedermann für wirkungslos – da hatte man auch noch nichts bevorratet. Dann empfahl man Selbstgebasteltes, verhängte Maskenpflichten, gegen alle Ansteckungswahrscheinlichkeiten auch im Freien, bis zum Tragezwang für die zwischenzeitlich reichlich beschafften FFP2-Masken – stets in der Pose der allwissenden Obrigkeit, die genau weiß, was für die Untertanen gerade richtig ist, und dafür stets die passenden „Experten“ zur Hand hat.

Das permanente Regierungshandeln im Gegensatz zum eben noch Angekündigten läuft auf eine Disziplinierungsübung hinaus, die den Widerspruch der Bürger im Sperrfeuer widerstreitender Anordnungen resignieren läßt. Debattiert und begründet wird ja nicht. Ob „Lockdowns“ tatsächlich helfen, wird behauptet, aber nicht evaluiert.

Man würde „mit dem Wissen von heute“ Friseure oder Einzelhandel nicht mehr schließen, hatte Gesundheitsminister Spahn noch im September letzten Jahres eingeräumt. Vier Wochen später kam erst der „Wellenbrecher-Lockdown“, dann verkündete die Kanzlerin „vier harte Monate“ und noch einmal vier, und wenn es nach dem Zusperr-Fanatiker Markus Söder geht, ist auch Ende Juni noch nicht Schluß.

Die Methode ist stets die gleiche: Freiheitsentzug und Grundrechtseinschränkungen werden den Bürgern mit Versprechungen auf kurze Dauer und absehbares Ende schmackhaft gemacht und unter Anrufung der „Wissenschaft“ als höhere Instanz ein ums andere Mal verlängert und verschärft. Nach fünfzehn Monaten, in denen sich alles um das Thema „Pandemie“ drehte, ist freilich das ständig behauptete Überraschtsein durch übergeordnete Notwendigkeiten reichlich unglaubwürdig. Soll Dauerpanik die Bürger in einer neuen Normalität des Ausnahmezustands festhalten? Wenn Sachsens Ministerpräsident Kretschmer den Gedanken an einen „Klima-Lockdown“ nach dem „Corona-Lockdown“ als „falsch“ zurückweist, ist Mißtrauen angebracht: Es wäre nicht das erste Dementi, das im nachhinein zur Bestätigung wird.