© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

„Jeder kann Bitcoin kaufen“
Sind Kryptowährungen nur etwas für Experten? Nein, sie sind wichtig für jeden – der sich vor Krisen schützen will, mahnt Professor Philipp Sandner, Leiter des Blockchain- Center an der Frankfurt School of Finance & Management
Moritz Schwarz

Herr Professor Sandner, Sie sagen: „Bitcoins sind wie Gold – eine Wertanlage.“ Die meisten Leute besitzen aber kein Gold. Spielen Bitcoins also für die Mehrheit keine Rolle?

Philipp Sandner: Wenn alles auch in Zukunft so weiterlaufen sollte wie bisher, also relativ stabil und beständig, dann wäre das durchaus vorstellbar. Denn warum sollte man sich mit Vorbereitungen auf eine Krise beschäftigen und entsprechende Vorkehrungen treffen, wenn mit einer solchen gar nicht zu rechnen ist? Allerdings ist die Frage, ob dem tatsächlich so sein wird.

Wahrscheinlich wohl nicht ...

Sandner: Dann sollte man sich in der Tat genauer mit dem Bitcoin beschäftigen. Schon seit längerer Zeit sehen wir ja, wie langsam wachsende Risse unsere Wirtschafts- und Finanzsysteme durchziehen. Eine Entwicklung, die auch schon vor Beginn der Corona-Krise zu erkennen war. Es ist also durchaus zu erwarten, daß es früher oder später einmal ordentlich rumpeln wird. Ein Anzeichen dafür ist zum Beispiel, daß das Thema Inflation in den Medien zunehmend präsent ist. Doch was bedeutet Inflation eigentlich ganz praktisch? Inflation bedeutet, daß Ihre Tasse Kaffee, Ihr Bier, Ihre Currywurst, etc. immer teurer werden, während Ihr Gehalt nicht oder nicht im gleichen Maße steigt. 

„Nach Jahren extrem niedriger Inflationsraten stehen wir an einer Trendwende“, schreibt das „Manager Magazin“. Allerdings gehen manche Experte lediglich von einer Normalisierung aus, andere von einer Inflation von möglicherweise fünf, zehn oder mehr Prozent. 

Sandner: Gerade angesicht dieser Unsicherheiten überlegen immer mehr Menschen: Wie kann ich am besten vorsorgen? Vor allem junge Leute mit geringem Vermögen, die am Anfang ihrer beruflichen, aber auch familiären Entwicklung und Planung stehen, sind davon betroffen. Sie können oft nicht auf eine staatliche Rente hoffen und sind angesichts drohender Negativzinsen geradezu dazu gezwungen, nach Alternativen zu suchen, um einerseits ihre Kaufkraft zu schützen, andererseits ihr Geld gewinnbringend zu investieren. Die bisher praktizierten Modelle des klassischen Sparens sind zur Zeit nicht mehr sinnvoll zu realisieren. 

Sie gehen davon aus, daß kommende Generationen keine Rente mehr erhalten?

Sandner: Doch. Die Frage ist nur, was diese Rente dann noch wert ist – wenn zum Beispiel eine Currywurst vierzig und das Bier dazu 35 Euro kosten würde. Das ist natürlich kurzfristig nicht der Fall und wird nicht passieren, aber es ist ein interessantes Gedankenmodell, sich das vorzustellen. Problematisch ist, daß eine Inflation für viele Menschen nicht vorstellbar ist – nur hat sich davon bisher noch kaum eine Inflation aufhalten lassen.

Sie empfehlen deshalb Bitcoins?

Sandner: Nein, ich empfehle, in Werte zu investieren, die die Aussicht haben, inflationsresistent zu sein. Das können Bitcoins sein, aber zum Beispiel auch Aktien. 

Wer jetzt also immer noch „riestert“ oder anderweitig anspart, sollte seinen Vertrag schleunigst aussetzen?

Sandner: Ich habe meinen Riestervertrag längst stillgelegt. Mein Rat ist ein gemischtes Portfolio, das sich etwa aus Wertpapieren wie ETFs – also Exchange Traded Funds –, Aktien, Immobilien, Bitcoins und Gold zusammensetzt. Letztlich sind Anleger gut beraten, sich intensiver mit diesen Themen auseinanderzusetzen.  

Die Mehrheit hat allerdings kein Geld für ein gemischtes Portfolio, sie kann sich gerade mal eine Art der Vorsorge leisten.

Sandner: Pardon, aber das lasse ich nicht gelten. Denn obwohl das vielleicht bei Immobilien oder einem Bausparvertrag zutreffen mag, ist die Situation bei Aktien und Bitcoins anders. Diese sind skalierbar, man kann sie also in beliebigen Einheiten erwerben, muß ergo nicht gleich einen ganzen Bitcoin kaufen. Dafür müssen Sie also auch nicht fünfhundert Euro im Monat ausgeben, wie beispielsweise für den Kredit für ein Haus. Sie können auch mit nur fünfzig oder gar fünf Euro beginnen – ganz wie Sie wollen.

Warum aber halten Sie den Bitcoin, eine rein virtuelle Größe, für krisenfest?

Sandner: Das Problem ist, daß die Leute oft kein Vertrauen in den Bitcoin haben. Aber nicht weil dieser fragwürdig wäre, sondern weil sie ihn und die zugrundeliegende Technologie nicht verstehen. Mein Rat ist daher, sich so rasch wie möglich mit dem Thema Kryptowährungen und Blockchain vertraut zu machen. Allerdings genügt es dafür nicht, einen Presseartikel zu lesen oder eine 3Sat-Dokumentation zu sehen. Beschäftigt man sich mit Alternativen zum Sparen, erkennt man schnell, daß der Bitcoin zwar nicht die einzige alternative Anlagemöglichkeit ist, aber daß er auf einer brillanten Technologie aufbaut. Bei jungen Leuten beobachte ich oft folgendes: Sie versuchen es probehalber mal mit einer Investition von fünfzig oder hundert Euro, machen gute – oder auch schlechte – Erfahrungen, und die allermeisten von ihnen beschäftigen sich in der Folge intensiver mit dem Thema und entwickeln ein Verständnis dafür. Im weiteren Verlauf setzen sie dann höhere Summen ein. Mit wachsendem Vertrauen und Wissen, egal ob es um Aktien, ETFs oder Bitcoins geht, wächst dann auch der Erfolg. Wichtig ist natürlich immer, nicht mehr Geld zu investieren, als man zu verlieren bereit ist. Das gilt insbesondere für Anfänger.

Nochmal die Frage: Was macht Bitcoins aus Ihrer Sicht krisenfest?

Sandner: Weshalb ist Gold relativ wertbeständig? Weil es ein knappes Gut ist. Das Hauptmerkmal des Bitcoin ist, daß er, bedingt durch sein „Protokoll“, das sind sozusagen seine „Spielregeln“, auf die maximale Anzahl von 21 Millionen Einheiten begrenzt bleibt. Das bedeutet, auch Bitcoins sind ein knappes Gut. Deswegen sage ich: Bitcoins sind wie Gold, eine relativ wertbeständige Anlage. 

Allerdings kann man ... 

Sandner: ... Gold anfassen, Bitcoins nicht. Ja, das ist die Standardkritik. 

Aber sie trifft zu. 

Sandner: Sicher, und ich verstehe, daß Dinge, die man berühren kann, intuitiv mehr Vertrauen einflößen. Doch welche Rolle spielt das? Keine. Früher hat man Postkarten verschickt, heute E-Mails – die kann man auch nicht anfassen. Sind die Informationen darin dadurch weniger zuverlässig? Nein. Information hat sich entmaterialisiert, und ebenso hat sich Wert entmaterialisiert. Für den Wert relevant ist nur, wie knapp ein Gut ist. Das nächste Standardgegenargument lautet, daß man Gold für Schmuck, Implantate oder in der Mikroelektronik einsetzen kann – es also einen Nutzen hat, Bitcoins hingegen nicht. Das stimmt natürlich, doch dafür haben Bitcoins eine besondere Eigenschaft, die nur sie bieten und keine andere Wertanlageform. 

Nämlich? 

Sandner: Eben gerade ihre Immaterialität! Denn das bedeutet, daß Bitcoins auch unvergleichlich schnell sind, im Sinne der Übertragbarkeit: Mit Bitcoins können Sie in circa dreißig Minuten Werte rund um den Globus transferieren: 24/7 – von Berlin etwa nach Seoul, Tokio oder New York, kein Problem! Und das zu relativ niedrigen Transaktionskosten. Und vor allem: Niemand kann Sie daran hindern. Alles was Sie brauchen, ist ein Zugang zum Internet – keine Bank, kein Dienst für Auslandsüberweisungen! Mit Bitcoins gewinnen Sie als Nutzer ein großes Stück Freiheit und Flexibilität. Im Kern geht es um „finanzielle Souveränität“. Das wissen vor allem Menschen zu schätzen, die in Ländern mit hoher Inflation leben, zum Beispiel Nigeria, Venezuela und in abgeschwächtem Maße auch die Türkei.

Aber ist das wirklich relevant?

Sandner: In Deutschland nicht unbedingt, aufgrund unseres relativ sicheren Gesellschafts- und Finanzsystems. Doch weltweit sind Milliarden Menschen auf der Flucht oder leben in Staaten mit instabilem politischem oder ökonomischem System. Viele von diesen Menschen sind äußerst dankbar, daß sie mit dem Bitcoin Zugang zu einem System haben, mit dem sie Werte sicher aufbewahren und jederzeit problemlos transferieren können. Das geht zum Beispiel mit Gold schlecht. Erstmals in der Geschichte können Menschen in solchen Staaten nun finanzielle Souveränität erlangen. Das ist ein erheblicher Nutzen! Der nur leider mit der westlichen Brille auf der Nase leicht übersehen wird. 

Wäre es dann nicht noch besser, der Bitcoin wäre eine richtige Währung, wie der Euro, mit der man im Alltag bezahlen kann?

Sandner: Das aber ist nun einmal nicht sein Konzept. 

Warum nicht? 

Sandner: Weil man eine Wertform schaffen wollte, die frei vom Einfluß menschlicher Entscheidungen ist. Da es nämlich diese menschlichen Entscheidungen sind, die dazu führen können, daß herkömmliche Währungen früher oder später einmal „weichgespült“ werden. Fazit: Es mußte ein System sein, das rein auf Mathematik beruht, frei von menschlicher Einflußnahme. 

Das wird durch das Blockchain-System erreicht, auf dem der Bitcoin beruht (siehe Seite 7). Was hat es damit auf sich? 

Sandner: Blockchains sind dezentrale Computernetzwerke. Das Bitcoin-Netzwerk besteht aus zehntausend Netzknoten rund um den Globus. „Dezentral“ bedeutet, daß es kein Zentrum gibt, von dem aus es sich lenken läßt. Und das gewährleistet, daß der Bitcoin im Gegensatz zu herkömmlichen Währungen der Zentralbanken eben nicht konkreten menschlichen Entscheidungen unterliegt, sondern als eigenständiges, dezentrales Netzwerk fungiert. Keine Regierung der Welt kann dieses Netzwerk mehr abschalten.

Zur Blockchain-Technologie haben Sie unter anderem zwei Sammelbände herausgegeben, die darstellen, wie diese „Unternehmen und den Finanzsektor auf den Kopf stellen wird“. 

Sandner: Ja, denn für die Zukunft braucht es neue Systeme, um Zahlungs- und Geschäftsprozesse besser zu synchronisieren – Stichwort Industrie 4.0.

Inwiefern aber wird das die Dinge „auf den Kopf“ stellen? 

Sandner: Insofern, daß in Zukunft nichts mehr nicht auf der Basis von Blockchain laufen wird. Auch wenn sicher noch fünf bis zehn Jahre vergehen werden, bis es soweit ist. 

Dann meinen Sie damit nicht, daß alles durcheinandergewirbelt wird, sondern daß es weitergeht wie bisher, nur auf leistungsstärkerer Grundlage – etwa wie beim Wechsel vom Propeller- zum Düsenflugzeug?

Sandner: Ja. Und natürlich wird diese neue Technologie dazu führen, daß manche Unternehmen verschwinden, andere aufsteigen. Hier wird oft der Vergleich zur Entstehung und Verbreitung des Internets gezogen.

Sie sagen „Unternehmen“ – also nicht ganze Branchen? Es werden nicht zum Beispiel die Banken verschwinden, weil Währungen künftig auf dezentraler Blockchain basieren?

Sandner: Nein, die Bankenwelt an sich wird sicherlich nicht untergehen. Wohl aber jene Banken, die die Anpassung nicht schaffen. Die Banken müssen mit dem Fortschritt gehen, sonst besteht die Gefahr, abgehängt zu werden.

Kryptowährungen wie der Bitcoin benötigen gewaltige Rechnerkapazitäten, die immer enormere Mengen Energie verschlingen. Könnte ihnen das den Garaus machen?

Sandner: Ich glaube nicht und zwar, weil man ja etwas dafür bekommt. Alles verbraucht schließlich Energie, etwa unser Telefonat gerade für dieses Interview, oder wenn Sie im Internet unterwegs sind, Auto fahren oder elektrische Geräte betreiben. Sie tun es dennoch, weil Sie dafür etwas aus Ihrer Sicht Wertvolles bekommen. So ist das auch mit Bitcoins.

Was, wenn die Kryptowährungen, wie das Fliegen, ins Visier von „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ geraten?

Sandner: Das kann schon passieren, ich glaube es aber nicht. Übrigens kommt der Strom für ihn bereits mehrheitlich aus regenerativen Energiequellen. 

Nach dem „Mooreschen Gesetz“ verdoppelt sich die Rechenleistung in der Informationstechnologie alle zwei Jahre. Warum kann der Bitcoin also nicht wachsen, ohne mehr Energie zu verbrauchen?

Sandner: Das könnte schon sein, zumal immer weniger Bitcoins erzeugt werden, je mehr sich ihre Zahl der technischen Obergrenze von 21 Millionen annähert. Das könnte dem zunehmenden Stromverbrauch entgegenwirken. 

Warum eigentlich Bitcoin und nicht eine andere Kryptowährung?

Sandner: Nicht alle der etwa viertausend Kryptowährungen sind zuverlässig, viele sind unsinnig, einige sogar betrügerisch. Deshalb sollte man unbedingt gesunde Vorsicht walten lassen, wenn man in Kryptowährungen investieren möchte. Der Bitcoin ist sicher die erste Wahl. Doch es spricht auch nichts dagegen, in eine andere seriöse Kryptowährung, wie etwa Ethereum, das auf Platz zwei hinter dem Bitcoin rangiert, zu investieren. Es lohnt sich aber auch hier, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. 

Wird der Ethereum, wie manche spekulieren, dem Bitcoin den Rang ablaufen? 

Sandner: Nichts ist unmöglich. Es ist wie zum Beispiel mit den Aktien: Derzeit führen die von Apple und Co. den Markt an. Doch jeder weiß, daß das natürlich nicht für alle Zeiten so bleiben wird. Im Moment sehe ich aber keine Veranlassung davon auszugehen, daß es dem Ethereum oder einer anderen Kryptowährung gelingen wird, den Bitcoin von Platz eins der Kryptowährungen zu verdrängen.






Prof. Dr. Philipp Sandner, ist Direktor des Blockchain Center der Frankfurt School of Finance & Management. Der Wirtschaftsinformatiker zählte laut FAZ 2018/19 zu den „dreißig einflußreichsten Ökonomen Deutschlands“. Er berät das Bundesfinanzministerium und die Europäische Union und ist Mitgründer des Blockchain Bundesverband e.V. Er ist Autor mehrerer Bücher und Herausgeber der Sammelbände „Der Blockchain-Faktor“ und „Die Zukunft ist dezentral“. Geboren wurde er 1980 in Heidelberg. 

Foto: Bitcoin und Blockchain-Technologie: „Schon lange vor Corona zeigten unsere Wirtschafts- und Finanzysteme wachsende Risse, darum sollte sich jeder mit dem Bitcoin beschäftigen“

weitere Interview-Partner der JF