© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

„Müssen etwas anbieten“
AfD II: Nach juristischem Gezerre um Veranstaltungsräume wählt der größte Landesverband seine Bundestags-Kandidaten/ Interview mit Rüdiger Lucassen, Landesvorsitzender und Bewerber für den ersten Listenplatz
Christian Vollradt

Am Wochenende will die AfD in Nordrhein-Westfalen ihre Liste für den Bundestag aufstellen. Sie sind Vorsitzender dieses größten Landesverbands und treten für den Listenplatz 1 an. Personenwahlen werden in der AfD immer auch als Richtungsentscheidungen gewertet – für welche Richtung stehen Sie?

Lucassen: Ich bin sicherlich dem nationalkonservativen Teil unserer Partei zuzurechnen, denke aber nicht so sehr in „Lagern“. Wir brauchen das gesamte Spektrum in unserer Partei, um erfolgreich zu sein. Was wir jedoch nicht brauchen, sind revisionistische Inhalte. Äußerungen wie beispielsweise die des nun ausgetretenen ehemaligen JA-Co-Vorsitzenden sind mir schlicht zuwider. Sie diskreditieren rechtskonservative Politik. Wer so redet, schadet Deutschland.

Worauf kommt es im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen an, wo würden Sie die Schwerpunkte setzen, sollten Sie Spitzenkandidat werden?

Lucassen: Unser Bundesland ist nicht so homogen wie etwa Sachsen oder Bayern. Nordrhein-Westfalen ist so unterschiedlich wie die Bundesrepublik selbst. Wir haben hier konservative Milieus, klassische Arbeitermilieus und dann wiederum große Beamten- und Studentenstädte. Zudem haben wir Städte mit extrem hohem Migrantenanteil. Dem müssen wir im Wahlkampf Rechnung tragen.  Für den Wahlkampf gilt, daß wir die Grundsätze unseres AfD-Programms deutlich machen müssen: Rechtsstaatlichkeit, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen und der Anspruch, in Sicherheit leben zu können. Nordrhein-Westfalen hat nach wie vor eine starke Arbeitnehmerschaft. Das sind Leute, die ihren Kindern weitergeben: „Du arbeitest, du schaffst etwas und dafür bekommst du eine Gegenleistung, nämlich soziale Sicherheit“ – für diese Leute treten wir ein. Und das kommt an, auch gerade bei Migranten der 2. und 3. Generation, die sich hier integriert haben.

Wenn die AfD im Herbst erneut in den Bundestag einzieht, dann nicht mehr wie 2017 mit lauter parlamentarischen Neulingen. Ist es dann vorbei mit dem „Welpenschutz“?

Lucassen: Ich hatte nie das Gefühl, Welpenschutz zu genießen. Mit uns ist auch – nicht nur seitens der politischen Gegner, sondern auch innerparteilich – immer hart, immer fordernd umgegangen worden, was ich nicht übelnehme. Der fachliche Anteil, den die AfD im Bundestag liefert, wird von den meisten nicht in Abrede gestellt. Unser größtes Defizit ist die Kommunikation. Das, was wir machen und wie wir es machen, kommt bei unseren Mitgliedern und Wählern nicht richtig an. Jetzt könnte die Schelte auf die Medien kommen … Die haben daran zwar einen wesentlichen Anteil, aber das ist nicht der alleinige Aspekt. Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Das erste, das wir weiter ausbauen müssen, sind die eigenen Kommunikationskanäle. Damit sichern wir unsere Unabhängigkeit. Als zweites braucht es einen professionellen Umgang mit den Leitmedien. Zwanzig Sekunden in der Tagesschau klingen wenig. Aber die zehn Millionen Zuschauer jeden Abend klingen überhaupt nicht wenig. Das sollten wir stärker nutzen. Dazu müssen wir uns nicht anbiedern, sondern wir müssen etwas anbieten.

Oft hat man den Eindruck, in der Fraktion kann jeder sein Ding machen, nach dem Motto: alles darf, nichts muß. 

Lucassen: Wie Sie wissen, habe ich schon länger einen Mangel an Führung beklagt. Nur wer richtig führt, kann auch den Willen unserer Basis umsetzen. Und das ist für mich der höchste Anspruch. Die Aufgabe in der nächten Legislaturperiode wird sein, die Politik der Basis zu bündeln, strukturiert umzusetzen und nach außen zu tragen.

Sie sind Verteidigungspolitiker. Die AfD versteht sich gerade auch als Stimme der Soldaten und Polizisten. Andererseits reagieren Angehörige der Sicherheitsberufe besonders sensibel auf eine drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Spielt das für den Wahlkampf eine Rolle?

Lucassen: Das kommt zum Teil auf uns an. Mit verbalen Ausfällen wie dem oben erwähnten, schaden wir uns selbst. Natürlich wird der Verfassungsschutz aber auch politisch instrumentalisiert. Für mich gilt: Wir sind Rechtsstaatspartei, und offenbar sehen das zehn bis zwölf Prozent der Wähler genauso. Wenn wir unseren Weg konsequent weitergehen, wird das dazu führen, daß ein immer größerer Teil der Bevölkerung sagt: „So geht das nicht! Wir wollen diese Partei, wir wollen sie als ein Korrektiv in dieser homogenen Masse etablierter Parteien. Und es kann nicht sein, daß dieses nun mit dem Instrument Verfassungsschutz kleingehalten werden soll“.






Rüdiger Lucassen, Jahrgang 1951, ist seit Herbst 2019 Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen AfD. Im Bundestag ist der pensionierte Oberst im Generalstabsdienst und frühere Hubschrauberpilot Verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion und Obmann im Verteidigungsausschuß.  

 https://afd.nrw