© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Hauptsache Wind machen
Klimagesetz: Union und SPD wollen noch in dieser Legislaturperiode die Ziele verschärfen / Angst vor dem Wahlkampfthema der Grünen
Peter Möller

Noch hat der Wahlkampf für die Bundestagswahl Ende September gar nicht richtig begonnen, da zeichnet sich mit der Klimapolitik bereits ein, wenn nicht gar das beherrschende Thema ab. Und auch die Rollenverteilung scheint schon klar: Die Grünen treiben die anderen Parteien, die sich auf das Thema einlassen – also alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der AfD – vor sich her.

Begonnen hat der Wettstreit um die weitreichendsten Forderungen im Kampf gegen den Klimawandel mit der von vielen Beobachtern als historisch gewerteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ende April. Die Richter in Karlsruhe hatten geurteilt, daß das bisherige Klimaschutzgesetz teilweise verfassungswidrig sei. Die Bundesregierung müsse genauer festlegen, wie die Reduktion der Treibhausgasemissionen nach 2030 aussehen soll. Diese Frage dürfe nicht einfach künftigen Generationen überlassen werden. 

Laschet bietet einen „Klimakonsens“ an

Vor allem die SPD erkannte schnell das Potential des Urteils, sich vom Koalitionspartner CDU/CSU abzusetzen und sich in der Öffentlichkeit als besonders engagiert im Kampf gegen den Klimawandel zu präsentieren. Am Mittwoch vergangener Woche stellte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) einen Entwurf für ein verschärftes Klimagesetz vor. Demnach sollen die Emissionen in Deutschland bis 2030 statt wie bisher um 55 Prozent nun um 65 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 sinken. Bis 2040 sollen sie sogar um 88 Prozent gesenkt werden. Zudem soll Deutschland den ambitionierten Zielen zufolge statt 2050 bereits 2045 klimaneutral sein und damit netto keine Treibhausgase mehr an die Atmosphäre abgeben. Deutschland wolle bis 2030 die Treib-

hausgasemissionen noch einmal deutlich senken, sagte Schulze vergangene Woche im Bundestag. Es handele sich um eine Senkung von 25 Prozent in zehn Jahren. „Das ist eine Größenordnung, die vorher unvorstellbar war“, freute sich die SPD-Politikerin. 

 Über das Gesetz wird diese Woche im Kabinett beraten. Ehrgeizigere Emissionsziele für Sektoren wie Verkehr oder Industrie sollen festgelegt werden. Noch nicht enthalten sind die konkreten Instrumente zur Umsetzung der neuen Klimaziele. Doch nicht die schnelle Reaktion der SPD, sondern das Agieren der Union war das eigentlich Bemerkenswerte. Sie machte schnell deutlich, daß sie sich von der SPD in der Frage des Klimaschutzes nicht den Rang ablaufen lassen will. So hatte CSU-Chef Markus Söder nach der Entscheidung aus Karlsruhe praktisch einen völligen Stopp des Treibhausgas-Ausstoßes schon 2040 ins Spiel gebracht. Kurz darauf verlangte auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet ein deutlich früheres Aus als bisher vorgesehen 2050. 

Sogar ein höherer CO2-Preis als bislang geplant, steht für CDU und CSU, die diesen lange komplett abgelehnt hatten, plötzlich zur Debatte. Laschet bot den anderen Parteien einen „Klimakonsens“ an. Bundes­wirt­schafts­mi­ni-

s­ter Peter Altmai­er (CDU) machte mit Blick auf den von Schulze vorgelegten Gesetzesentwurf deutlich, daß die Union in dieser Frage keinen Durchmarsch der SPD zulassen will. Er erwar­te noch schwie­ri­ge Detail­ge­sprä­che, etwa zu den Ausbau­zie­len, zur CO2-Beprei­sung oder zum Miet­recht. Man sei sich aber einig, den Entwurf in dieser Woche ins Kabi­nett einzu­brin­gen und darin eine frühe­re Klima­neu­tra­li­tät zu verein­ba­ren. Deutsch­land wolle mehr für den Klima­schutz tun, aber auch andere Staa­ten müßten in der EU zumut­ba­re Lasten über­neh­men. Vor allem müßten Privat­haus­hal­te und Mittel­ständ­ler beim Strom­preis, der zu den höchs­ten in den Indus­trie­län­dern gehöre, entlastet werden, machte Altmaier deutlich. 

Dazu müsse zum Beispiel die EEG-Umlage gesenkt werden. Die Grünen machten unterdessen deutlich, daß der Aktionismus der Regierungsparteien für sie ein willkommener Anlaß ist, den klimapolitischen Druck weiter zu erhöhen. „Gute Politik bemißt sich nicht an Papier und abstrakten Zielen, sondern an der Realität und konkreten Maßnahmen“, sagte die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock am Freitag. Es sei nun nötig, den CO2-Preis „mit echter klimapolitischer Lenkungswirkung“ auf den Weg zu bringen, den Kohleausstieg bis 2030 umzusetzen und den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. 

Wohin die klimapolitische Reise nach den Vorstellungen der Grünen gehen soll, zeigten sie in der vergangenen Woche mit zwei entsprechenden Anträgen im Bundestag. Darin forderten sie unter anderem, den CO2-Preis, der seit 1. Januar auf Öl und Gas gezahlt werden muß, bereits 2023 auf 60 Euro zu erhöhen. Danach soll er nach dem Willen der Grünen weiter steigen. Derzeit liegt der Preis bei 25 Euro pro Tonne CO2. Die bisherigen Pläne sehen vor, ihn schrittweise bis 2025 auf 55 Euro steigen zu lassen. 

Noch können die Grünen ihre Vorstellungen nicht durchsetzen, doch das könnte sich im Herbst schnell ändern – vor allem, wenn es ihnen gelingt, mit ihrem Kernthema Klimaschutz weiterhin den Wahlkampf zu bestimmen.