© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Nur Rares ist Wahres
Bitcoin: Worin liegt die revolutionäre Kraft des digitalen Goldes? / Riesiger Energiehunger stellt Kryptowährung vor Probleme
Björn Harms

Spricht man vom Bitcoin, denken die meisten ganz automatisch an die rasanten Kursentwicklungen. Mitte April kletterte der Bitcoin auf sein Allzeithoch bei 54.042 Dollar, dann raste der Kurs wenige Tage später auf knapp über 40.500 Dollar abwärts. Derzeit hat er sich bei knapp 48.000 Dollar pro Einheit eingependelt. Doch viel entscheidender als die Volatilität der Kryptowährung sind noch immer die grundlegenderen Fragen: Wie funktioniert eigentlich das Ökosystem Bitcoin? Wie gehen Unternehmen und Banken mit dem Unruhestifter um? Und wo liegen die Schwachstellen des Systems?

Den Grundstein für das Bitcoin-Projekt legte das sogenannte „White Paper“ von Satoshi Nakamoto, veröffentlicht im Oktober 2008. Auf gerade mal acht Seiten wird darin die philosophische und technische Grundlage des Systems erklärt: Ein dezentrales Transaktionssystem soll es ermöglichen, Zahlungen direkt von einer Person an die andere zu senden, ohne auf einen Vermittler, sprich ein Finanzinstitut, angewiesen zu sein. Der kryptographische Nachweis, die Mathematik, tritt an die Stelle von notwendigem Vertrauen in eine dritte Partei.

Das Bitcoin-System ist pseudonym, nicht anonym 

Möglich macht dies das Prinzip der „Blockchain“, einer Kette aus mehreren Datenblöcken. Die Blockchain dient als eine Art dezentral geführte, digitale Buchhaltung und wird durch keine einzelne Entität kontrolliert. Jede Transaktion einer Werteinheit wird hier festgehalten, wobei die Identität der Teilnehmer unbekannt ist. In einem pseudonymen (aber nicht anonymen!) System besitzt jeder Nutzer eine ID aus Nummern und Buchstaben, seine Bitcoins speichert er in seiner „Wallet“ (Brieftasche).

Angenommen, Person A will nun einen Bitcoin an Person B übertragen. Wie kann überhaupt festgestellt werden, ob Person A den Bitcoin besitzt? Theoretisch könnte hier ja auch manipulativ eingegriffen werden. Um das zu verhindern, liegt die Blockchain eben nicht in der Hand eines Teilnehmers, sondern ist öffentlich. Jeder im Netzwerk kann überprüfen, ob Person A den Bitcoin sein Eigentum nennen kann. Tätigt die Person dann eine Überweisung, wird dies in einem Block vermerkt und kann ebenfalls von allen Netzwerkteilnehmern eingesehen werden. In einer mißtrauischen Umgebung wie dem Internet wird plötzlich Vertrauen hergestellt.

Entscheidend ist natürlich, daß alle sich auf dieselbe Datenstruktur verständigen und nach denselben Regeln vorgehen. Das heißt, für jeden Teilnehmer muß die Blockchain gleich aussehen – und das tut sie auch. Sobald es einen neueren Datenstand gibt, wird dieser Zustand synchronisiert, damit alle auf dem gleichen Stand sind. Hier kommt das „Mining“ (Schürfen) ins Spiel, was im Grunde nichts anderes als das feste Regelwerk der Blockchain darstellt.

Denn nicht nur Gold wird geschürft, auch beim Bitcoin spricht man davon. Die Erschaffung neuer Bitcoins ist jedoch eher als Nebeneffekt zu verstehen. Hauptsächlich dienen die „Miner“ dazu, Transaktionen im Netzwerk durchzuführen und zu verifizieren. Die „Bergleute“ überwachen die Zahlungen und können sich dafür als Belohnung neue Bitcoins auszahlen. Miner kann dabei grundsätzlich jeder sein, der die quelloffene Bitcoin-Software herunterlädt und seine Rechenleistung zur Verfügung stellt.

Alle Transaktionen, die es zu bestätigen gilt, werden zunächst in einer Art Warteschlange gebündelt. Wer sie bestätigen will, sammelt Tausende von ihnen zu einem Block. Alle Blöcke sind mit einem „Hash“ verbunden, einer kryptographischen Prüfsumme. Diese ist nur durch Zufall beziehungsweise Ausprobieren herauszufinden, was der Computer dann auch versucht. Gültig ist der neue Hash nur dann, wenn er mit einer bestimmten Anzahl an Nullen beginnt. Die Zahl der benötigten Nullen steigt im Laufe der Zeit, womit auch der Rechenaufwand immer höher wird. Der erste Miner, der den gültigen Hash findet, darf diesen in einen neuen Block schreiben. Den hängt er dann ans Ende der Blockchain. Anschließend wird ihm seine Belohnung in Form von Bitcoin ausbezahlt.

Die Wallstreet gibt sich noch skeptisch

Da die Lösung im wahrsten Sinne des Wortes „erarbeitet“ werden muß, nennt man dieses Vorgehen auch „Proof-of-Work“. Im Schnitt entsteht so etwa alle zehn Minuten ein neuer Block. Doch klar ist: Je mehr Transaktionen weltweit ausgeführt werden, desto mehr Bitcoins fließen natürlich auch als Belohnung in die virtuelle Geldmenge. Die Vergütung, welche die „Bergleute“ erhalten, reduziert sich deshalb laut dem Regelwerk alle vier Jahre. Die Bitcoin-Produktion hört schließlich im Jahr 2140 auf, wenn sich der Wert der Zahl von 21 Millionen Bitcoins genähert hat (siehe Grafik).

Um so mehr Nutzer die Blockchain nun hat, desto sicherer wird sie auch. Der Anreiz für Miner steigt, das Netzwerk vor Manipulation zu sichern. Denn theoretisch könnten sich auch Miner zusammenschließen, um eine Änderung des Netzwerkes anzustreben und die Regeln neu auszuloten. Das könnte auch eine kleine Minderheit der Teilnehmer sein, wenn sie nur die Mehrheit der Rechenleistung besitzt – mindestens 51 Prozent. Bei Bitcoin ist ein „51-Prozent-Angriff“ mittlerweile fast unmöglich, da eine derartige Rechenleistung kaum aufzubringen ist, dazu noch horrende Stromkosten im Wert von mehreren Milliarden Dollar verursacht. Abgesehen davon würde der potentielle Angreifer aufgrund des dem Mining zugrundeliegenden Zufallsprinzips sehr viel Glück brauchen.

Ein weiterer gewichtiger Vorteil der Blockchain: Sie ist zensurresistent. Jeder darf teilnehmen, niemand kann ausgeschlossen werden. Anders als beim klassischen Bankensystem, denn die Sperrung von Konten ist mittlerweile ein probates Mittel geworden, um weltweit dissidente Kräfte mundtot zu machen.

Die revolutionäre Kraft von Bitcoin rief auch viele Gegner auf den Plan. Von Anfang an war die Kryptowährung massiven Vorbehalten ausgesetzt. 2017 sprach Jamie Dimon, Chef des größten US-Bankhauses JP Morgan, beim Bitcoin von „Betrug“. Es sei „einfach keine echte Sache“, irgendwann werde es gesperrt. Nur wenige Monate später folgte plötzlich der Rückzieher. „Die Blockchain ist real“, gab er an. Vor zwei Wochen ließ sein Bankhaus Taten folgen. Noch in diesem Sommer will JP Morgan seinen Kunden einen aktiv verwalteten Bitcoin-Fonds anbieten. Auch die Großbank Morgan Stanley verlautbarte vor einem Monat, daß sie mit FinTech-Unternehmen für mehrere Bitcoin-Fonds zusammenarbeite.

Doch nicht nur Banken, auch die ersten großen Unternehmen setzen auf das „digitale Gold“. Der Autobauer Tesla von Elon Musk hält derzeit Bitcoin im Wert von rund 2,5 Milliarden Dollar. Im August 2020 hatte der Softwarehersteller Microstrategy als erstes börsennotiertes Unternehmen einen großen Teil seiner Reserven in Bitcoins umgewandelt und 21.454 Einheiten zu einem damaligen Wert von 250 Millionen US-Dollar gekauft. Das Unternehmen hält mittlerweile knapp 90.000 Bitcoins im Wert von über fünf Milliarden Dollar. Vergangene Woche verkündete Ebay, die Einführung von Zahlungen mit Digitalgeld wie Bitcoin zu erwägen.

Die Akzeptanz für die Kryptowährung steigt also, alteingesessene Hasen der Wallstreet geben sich jedoch weiterhin skeptisch. Charles Munger, Vize-Chairman der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway, bezeichnete „die ganze verdammte Entwicklung“ rund um Bitcoin auf der jährlichen Aktionärsversammlung vor zwei Wochen als „ekelhaft“. Er werde keine Währung willkommen heißen, die von Entführern und anderen Kriminellen benutzt werde, so die 97jährige Investorenlegende.

Doch ist das Bitcoin-System überhaupt ein Paradies für Kriminelle? Laut dem „Crypto Crime Report“ der Experten von Chainalysis lautet die Antwort klar und deutlich: Nein. Wenngleich es natürlich wie in jedem Finanzsystem Mißbrauch gebe. Die Analyseplattform untersucht regelmäßig die Transaktionen im Netzwerk. Von knapp drei Billionen Dollar, die im vergangenen Jahr in Form von Bitcoins gehandelt wurden, seien demnach nur zehn Milliarden Dollar und damit 0,34 Prozent der Transaktionen illegalen Zwecken zuzuordnen, heißt es in dem Bericht. Der entscheidende Punkt: Das Bitcoin-Netzwerk ist keinesfalls anonym, wie häufig behauptet, sondern eben pseudonym. Somit läßt sich nachvollziehen, wann welcher Bitcoin den Besitzer gewechselt hat.

Doch kann Bitcoin eigentlich verboten werden? Die Gerüchte darüber gibt es schon so lange wie die Währung selbst. Da die Blockchain aber ein weltweit verbreitetes, digitales Netzwerk darstellt, müßte theoretisch das Internet abgeschaltet werden, um die Krypto­währung zu verbieten. Und für die Börsen wird es immer wieder Schlupflöcher geben, da kaum anzunehmen ist, daß alle Länder der Erde sich auf ein Handelsverbot mit Bitcoin würden einigen können.

Die wichtigste Frage der Zukunft dürfte eher das Stromproblem werden. Denn die Blockchain verbraucht – je nach Quelle – 70 bis 170 Terawatt pro Jahr. Der Energieverbrauch ist ungefähr so hoch wie der Jahresverbrauch von ganz Schweden – Tendenz steigend. Durch das starke Wachstum des Bitcoin-Netzwerks reicht die Rechenleistung von herkömmlichen Computern für das Mining längst nicht mehr aus. Deshalb bündeln Miner ihre Kräfte in Mining-Pools, also riesigen Anlagen mit Tausenden Servern. Je stärker die Hash-Power eines Mining-Pools, desto höher die Chance, durch Zufall einen neuen Block zu erschließen, desto höher aber auch der Stromverbrauch. Bitcoin, der Klimakiller, unken viele Medien bereits.

Aufgrund der geringen Strompreise wird mittlerweile rund 65 Prozent des Bitcoin-Minings in China betrieben. Hier wiederum konzentriert sich das Schürfen auf die Provinzen Xinjiang und Sichuan, wo insbesondere fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Die Lösung für das Umweltproblem suchen viele Bitcoin-Anhänger nun in der freien Standortwahl. Denn die großen Mining-Pools können auch mitten im Nirgendwo arbeiten, etwa in Wüsten. Die Hoffnung: Bitcoin-Mining konzentriert sich künftig auf die vergleichsweise wenig ausgelastete Infrastruktur für erneuerbare Energien und macht eigentlich verlustbringende Erneuerbare-Energie-Projekte mit der Zeit profitabel. Tatsächlich entstehen derzeit weltweit Mining-Pools, die an Wasserkraft- und Solaranlagen angebunden sind. Eine Studie der Universität Cambridge aus dem September 2020 kam zu dem Ergebnis, daß bereits jetzt 76 Prozent der Krypto-Miner Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwenden.





Die Geschichte des Bitcoins

18. August 2008

Der Domainname bitcoin.org wird registriert. 

31. Oktober 2008

Unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlicht jemand auf der Kryptographie-Mailingliste metzdowd.com das  „White Paper“, die technologische Grundlage von Bitcoin. Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, bleibt unklar, da die Person beim Onlinegehen stets Anonymisierungsverfahren nutzte.

3. Januar 2009

Der erste Bitcoin-Block wird gemint, Block 0, genannt der „Genesis-Block“. Als Gegenleistung für das Lösen einer Rechenaufgabe schreibt das Programm seinem Schöpfer Nakamoto 50 Bitcoins gut. 

8. Januar 2009

Die erste Version der Bitcoin-Software wird auf der Kryptographie-Mailingliste angekündigt.

12. Januar 2009

Die erste Bitcoin-Transaktion wird durchgeführt (Block 170). Einsender: Satoshi Nakamoto.

Februar 2010

Die erste Bitcoin-Wechselstube (Börse) geht online.

Mai 2010

Die erste reale Bitcoin-Zahlung findet statt, als ein Programmierer in Florida 10.000 BTC für zwei Pizzas bezahlt.

Februar 2011

Bitcoin erreicht den Wert von einem Dollar. Bitcoin-Börsen außerhalb der USA entstehen.

26. April 2011

Die letzte öffentliche Nachricht von Satoshi Nakamoto in einem Forum erscheint. „Ich wende mich anderen Dingen zu.“ Seitdem gab es kein Lebenszeichen mehr.

28. März 2013

Bitcoin erreicht die Kapitalisierung von einer Milliarde Dollar.

August 2013

Deutschland billigt rechtlich und steuerlich Bitcoin als „privates Geld“.

15. April 2021

Der Bitcoin-Kurs erreicht kurzzeitig ein bisheriges Allzeithoch von 54.042 Euro, bevor er stark fiel.