© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

E-Mobilität vernichtet Arbeitsplätze
Autoindustrie: Parallele Produktionsstrukturen erfordern einige Jahre noch viel Personal / Verbote möglich
Paul Leonhard

Der Gewinnsprung im ersten Quartal bei VW war gewaltig. Der nach Toyota zweitgrößte Autokonzern der Welt verfünffachte sein operatives Ergebnis auf 4,8 Milliarden Euro, der Aktienkurs stieg um 4,7 Prozent. Das BMW-Papier ist mit einem Prozent im Plus – und das trotz des weltweiten Mangels an Elektronikteilen. Im April sind die Geschäfte der deutschen Hersteller und ihrer Zulieferer noch besser gelaufen als im März. Das Corona-Tief scheint überwunden.

Im Kontrast dazu steht die düstere Prognose, die das Ifo-Institut nun von der Zukunft der deutschen Autobauer vorlegt: In einer Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft werden durch die schrumpfende Produktion von Verbrennungsmotoren mehr Arbeitsplätze wegfallen, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. „Wir sehen schon an der Entwicklung der Produktionswerte, daß für Elektroautos ganz andere Teile benötigt werden als für Verbrenner“, schreibt Oliver Falck, Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik, in der im Auftrag des Automobilverbandes VDA entstandenen 38seitigen Studie über „Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland“.

Gefahr für mittelständisch geprägte Zuliefererbranche

Aktuell wird aber die Autoproduktion wieder hochgefahren, im Exportgeschäft werden Steigerungen erwartet. Die Kapazitätsauslastung lag im April bereits wieder bei 91,1 Prozent (Januar: 84,2 Prozent). Trotz angezogener Nachfrage gibt es in mehreren Automobilwerken noch Kurzarbeit, aber wegen des Mangels an Halbleiterchips – Lieferengpässe legen die Ford-Werke in Köln (Fiesta) und Saarlouis (Focus) bis August bzw. Juni fast komplett lahm. Auch bei der Konkurrenz sind beliebte Modelle nicht lieferbar.

Dennoch planen die Konzerne mit weniger Personal. Schuld sind die verschärften CO2-Emissionsziele der EU, die die Autohersteller zwingen, trotz verhaltener Nachfrage in die Fertigung von Elektroautos zu investieren, die langfristig weniger personalintensiv ist. Dabei waren 2020 nur 194.000 der 2,9 Millionen in Deutschland neu zugelassenen Pkw E-Mobile. Das waren nur 6,6 Prozent und davon über die Hälfte gewerbliche oder staatliche Zulassungen – und das trotz 9.000 Euro Kaufprämie.

Der gesetzlich erzwungene Transformationsprozeß zur Elektromobilität ist tiefgreifender als von der Politik zugegeben. Doch der Staat müsse eingreifen, um durch die Finanzierung von Umschulungsmaßnahmen diese Prozesse „und die teilweise negativen Auswirkungen auf bestimmen Beschäftigungsgruppen“ abzufedern, so die Ifo-Experten. Betroffen sei vor allem die mittelständisch geprägte Zuliefererbranche. Es sei wichtig, in der verbleibenden Diesel- und Benzinerproduktion sowie bei den E-Autos „hoch qualifizierte Jobs zu erhalten, ohne den Strukturwandel aufzuhalten“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. Besonders betroffen sind nach Angaben von IG-Metall-Chef Jörg Hofmann Teile des Saarlandes, Thüringens und Süd-Westfalens.

Bislang hat der Wandel die Beschäftigten aber noch nicht voll erreicht. Eine Erklärung hierfür ist, daß die Industrie erhebliche Investitionen in Entwicklung, Organisation und parallele Strukturen tätigen mußte. Diese waren teilweise mit geringerer Arbeitsproduktivität verbunden. Ob es künftig durch den Abbau paralleler Strukturen, mehr Automatisierung in der Fertigung oder eine verringerte Wertschöpfungstiefe durch den Import von Batterien zusätzliche negative Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Autobranche geben wird, bleibe eine zentrale Frage.

Weniger Dramatik durch Verrentung der Arbeiter

Der Produktionswert der direkt von der Transformation in die E-Mobilität betroffenen Produktgruppen sei zwar bereits zwischen 2015 und 2019 um mehr als 22 Milliarden Euro gesunken (minus 13 Prozent), die Beschäftigung bei diesen Produkten sei aber nur um zwei Prozent (8.000 Beschäftigte) zurückgegangen: „Parallele Produktionsstrukturen erfordern noch viel Personal“, sagt Falck. Sprich: Wer gleichzeitig Benziner, Diesel, Plug-in-Hybride (Benziner, die theoretisch 50 Kilometer rein elektrisch fahren können) und E-Autos anbietet, hat eine komplexere Produktion.

Unabhängig davon haben die Ifo-Experten berechnet, daß bis 2025 rund 75.000 Beschäftigte in der deutschen Autoindustrie in den Ruhestand gehen werden. Von denen sind derzeit 39.000 direkt im Fahrzeugbau und 36.000 in der Teileherstellung tätig. Wegfallen werden durch die Umstellung auf E-Autos bis dahin aber mindestens 178.000 Arbeitsplätze – nämlich jene, die derzeit Produktgruppen herstellen, die vom Verbrenner abhängen, davon 137.000 direkt in der Autoindustrie.

Bis 2030 werden 147.000 Produktionsarbeiter in Rente gehen, davon rund 73.000 im Fahrzeugbau. Aber mindestens 215.000, davon 165.000 direkt in der Autoindustrie, arbeiten in der Herstellung von Verbrennerkomponenten. Die Modellrechnung beruht auf der Annahme der Wissenschaftler, daß die Produktion von Autos mit Verbrennern „so stark zurückgeht, wie es die Abgasregulierung derzeit erfordert“. Danach müssen bis 2030 zwei von drei Neuwagen Elektro- oder Hybridautos sein.

Immerhin besteht für Firmen, die bisher Zylinderköpfe, Kolben, Kraftstoffpumpen, Zündkerzen oder Auspufftöpfe produzierten, theoretisch die Chance, den personellen Umbruch über die natürliche Beschäftigungsfluktuation „zu gestalten“. Allerdings müßten die Fabriken in der Lage sein, die Verluste mit weniger oder gar nicht mehr nachgefragten Teilen durch andere Produkte zu ersetzen. Kleinere, auf wenige Produkte spezialisierte Unternehmen werde diese Option häufig nicht zur Verfügung stehen, warnt die Ifo-Studie. Dazu kommt, daß die Autokonzerne neuerdings interessiert sind, Teile der ausgelagerten Produktion wieder in die eigenen Werke zu holen: Die Einweihung eines neuen Preßwerkes vergangene Woche am VW-Standort im sächsischen Zwickau unterstreicht diesen Trend.

Und dann gibt es auch noch eine treue kaufkräftige Nachfrage von außerhalb der klimapanischen EU: „Ich bin mir sicher, daß es auch nach 2030 eine genügend große Zahl Menschen geben wird, die willens sind, viel Geld für ein schickes Fahrzeug mit Zwölf- oder Achtzylindermotor auszugeben“, prognostiziert etwa Peter Mertens, früherer Entwicklungschef bei Audi, in der Wirtschaftswoche.

Ifo-Studie „Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland“:  ifo.de





Verbrennungsmotoren unter Druck

Bereits 2007 verlangte der damalige CSU-Generalsekretär Markus Söder im Spiegel: „Ab dem Jahr 2020 dürfen nur noch Autos zugelassen werden, die über einen umweltfreundlichen Antrieb verfügen.“ Dänemark, wo es keine Autoindustrie gibt, kündigte 2018 an, Diesel und Benziner ab 2030 zu verbieten – doch das scheitert bislang am EU-Recht, das einheitliche Binnenmarktregeln verlangt. Daher haben Belgien, Dänemark, Griechenland, Malta, Irland, Litauen, Luxemburg und Österreich inzwischen die EU-Kommission in einem Brief aufgefordert, ein „Ausstiegsdatum“ für Verbrennungsmotoren festzulegen. Doch Autoländer wie Italien, Polen, die Slowakei, Spanien, die Tschechei und Ungarn sind bislang dagegen. Zudem will die estnische EU-Energiekommissarin Kadri Simson synthetisches Benzin und Diesel (E-Fuels) aus „erneuerbaren Energien“ und „nachhaltige Biokraftstoffe“ für Verbrennungsmotoren in der kommenden Erneuerbare-Energie-Richtlinie (Red III) nicht ausschließen. Möglich sind allerdings regionale Verbrenner-Fahrverbote, wie in Paris und Amsterdam ab 2030 geplant. (fis)