© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Christuslob und Bollerwagen
Zwischen Spiritualität und Spirituosen: Das Fest der Himmelfahrt wird heute meist irdisch begangen
Dietmar Mehrens

Man könnte meinen, ein Schwabe hätte die Idee gehabt, den Vatertag auf Himmelfahrt zu legen – schlägt man doch damit höchst ökonomisch zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Muttertag fällt alljährlich auf den zweiten Sonntag im Mai, sein männliches Pendant dagegen ist geknüpft an einen beweglichen Feiertag, den Tag der Himmelfahrt Christi, die sich christlicher Überlieferung gemäß am vierzigsten Tag nach Ostern ereignete.

Die Verbindung zum Vatertag ist leicht erklärt: Jesus kehrte schließlich an diesem Tag zu seinem Vater im Himmel zurück. Tatsächlich hat sich zu der kirchlichen Himmelfahrtstradition seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert, oft verbunden mit Exerzitien und Prozessionen, hierzulande eine sehr weltliche Tradition gesellt, die Ende des 19. Jahrhunderts unter mutmaßlichem Einfluß von Bierbrauereien aufkam. 

Seither gilt: „De een to Kark, de anner in—n Kroog“, wie es auf plattdeutsch heißt, „die einen gehen in die Kirche, die anderen in die Gaststätte.“ Oder man nimmt letztere einfach mit: Jahr für Jahr sieht man an Himmelfahrt Menschen ein Wägelchen mit alkoholhaltigen Getränken über Feldwege ziehen. Sie sind oft leicht alkoholisiert und immer fröhlich. Gutes Wetter vorausgesetzt, verbinden sportlichere Festtagsnutzer das feucht-fröhliche Geselligkeitsritual mit einer Partie Boßeln, der Extensivversion des Kugelspiels Boccia, das sich zum Boßeln in etwa verhält wie Minigolf zu richtigem Golf. Auch Kutschfahrten und simple Fahrradtouren sind beliebt. 

Immerhin: Daran, daß am Vatertag Spirituosen der Spiritualität den Rang streitig machen, muß der Heiland nicht unbedingt Anstoß nehmen – wurde dieser doch zu Lebzeiten ob seiner Feierwilligkeit als „Weinsäufer“ geschmäht, ein Vorwurf, der sich auch zehn Tage nach seinem Heimgang, zu Pfingsten nämlich, noch hielt: „Die sind voll süßen Weins“, lautete das Urteil skeptischer Spötter, nachdem die ersten Christen den Heiligen Geist empfangen hatten.

Ohnedies schließen Gottesdienst am Vormittag und feierseliger Ausflug in den Nachmittagsstunden einander nicht aus. Allerdings würde der Messias wohl darauf bestehen, demjenigen, dem der Vater- oder Herrentag seinen Namen verdankt, den ihm gebührenden Respekt zu zollen: „Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name.“

Um Vater und Sohn geht es auch im Jesus-Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es zeichnet den Weg vor, den die in Eigen- und Praßsucht verstrickte und daher verlorene Menschenseele gehen soll, um von Gott begnadigt und wieder aufgenommen werden zu können. Mit seiner Himmelfahrt zeigt Jesus, wohin die Reise geht: Das letzte Ziel ist jene himmlische Heimat, die das wahre Zuhause des Gläubigen ist. 

Die Himmelfahrt ist übrigens kein Alleinstellungsmerkmal des Erlösers: Schon der Prophet Elia wurde auf diese schwer faßbare Weise von seinem irdischen Auftrag entbunden und ließ seinen Nachfolger verblüfft zurück. Ein feuriger Wagen und feurige Rösser, so schildert es das zweite Buch der Könige, sorgten dafür, daß Elia „im Sturmwind auf zum Himmel fuhr“. Das jüdische Volk hat das so beeindruckt, daß der Prophet auch zur Zeit Jesu und seines Schuhriemenöffners, des Täufers Johannes, noch in aller Munde war. „Bist du Elia?“ wurde der gefragt. Und aus Anlaß der Verklärung Jesu wollten Petrus & Co. nicht nur ihm und Mose eine Hütte bauen, sondern auch Himmelsstürmer Elia.

Moderne Theologen, die an die in der Bibel geschilderte Auffahrt in den Himmel, also ohne technische Hilfsmittel, wie sie erst seit dem Industriezeitalter zur Verfügung stehen, oder ein neumodisches Getränk, das angeblich Flügel verleiht, nicht recht glauben wollen, sehen eine exegetisch relevante Verbindungslinie zwischen Elias Himmelfahrt und der des Auferstandenen. Sie verweisen auf Parallelen: Auch Jesus wird, nachdem er gerade noch wichtige Instruktionen an seine Schüler weitergegeben hat, „vor ihren Blicken emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg“ (Apg. 1,9).

Tatsächlich gehört die Himmelfahrt Jesu neben der unbefleckten Empfängnis, der Auferweckung des Lazarus und schließlich seiner eigenen Auferstehung zu den unglaublichsten Ereignissen der christlichen Überlieferung. Erschwerend kommt hinzu, daß sie wesentlich schlechter bezeugt ist als die Auferstehung. Denn nur einer der vier Evangelisten berichtet zuverlässig davon: Lukas. Der zweite Bericht, der sich am Ende des Markusevangeliums findet, fehlt in den ältesten Handschriften und gilt daher als nicht ursprünglich. Andererseits gilt Lukas als besonders akribischer Chronist. Sein Griechisch ist das eines Akademikers. Trotzdem: Eine Wolke, ein plötzlich herbeigewehter Nebelschleier soll Jesus verschlungen haben? Das klingt Skeptikern zu sehr nach griechischer Sage oder der bunten Esoterik-Fabelwelt, wie sie uns in dem modernen Religionsbestseller „Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott“ (2007) begegnet. 

Auf solche und andere erbauliche Lektüren können sich unsere Nachbarn in Österreich und der Schweiz am Himmelfahrtstag ungestört von Herrentagspartien einlassen. Wie die angelsächsischen Länder gönnen sie sich im Gegensatz zu den sparsamen Deutschen, bei denen Himmelfahrt seit 1934 (in der DDR bis 1966) ein gesetzlicher Feiertag ist, einen eigenen Vatertag. Die Idee stammt aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten: 1909 kam die Tochter eines Bürgerkriegsveteranen auf die Idee, die Leistungen ihres Vaters durch einen eigenen Gedenktag zu würdigen. Er fiel auf den 19. Juni. Seit rund fünfzig Jahren gilt infolgedessen der jeweils dritte Sonntag im Juni in den USA als offizieller Vatertag. Diesem Beispiel folgen die meisten Länder Amerikas, Großbritannien, Holland und Frankreich. In der Schweiz fällt Vatertag auf den ersten Sonntag im Juni, in Österreich und Belgien auf den zweiten. In Italien, Spanien und Portugal fällt er zusammen mit dem Josefstag (19. März), gewidmet dem irdischen Vater Jesu.