© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Zeitschriftenkritik: Ruperto Carola
Europa-Diskurs vor hundert Jahren
Werner Olles

Freund & Feind – mit den unterschiedlichen Facetten dieses Themas befaßt sich die aktuelle Ausgabe (1/2021) des zweimal jährlich erscheinenden Forschungsmagazins Ruperto Carola der Universität Heidelberg. Neben dem historischen Blick des Amerikanisten Manfred Berg auf die deutsch-amerikanische Freundschaft ist vor allem der Beitrag „Im Kampf mit der Moderne“ der Literaturwissenschaftlerin Barbara Beßlich und des Germanisten Tillmann Heise bedeutend. So fand in der Zwischenkriegszeit der 1920er Jahre vor allem in Deutschland und Österreich eine Debatte über die Zukunft Europas statt, an der sich zahlreiche Schriftsteller und Intellektuelle beteiligten. Dabei gab es neben liberalen Ideen auch Europa-Entwürfe, die mit einer ausgeprägten Freund-Feind-Matrix antiliberale Gegenordnungen propagierten. 

Diese bisher weitgehend unbeachteten liberalismuskritischen Debatten begannen 1922 mit dem Urteil Robert Musils, der Europa als ein „babylonisches Narrenhaus“ bezeichnete. Auch Max Weber favorisierte eine hierarchische „Ordnung der Ungleichheit“ und lehnte den von den Siegermächten initiierten Völkerbund als „westlich“ ab. Stattdessen glorifizierte man das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als Europäisches Ordnungsmodell. Die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) könne nur mit einer Wiederbelebung religiöser Weltdeutungen bekämpft werden.

Diese Europa-Ideen, die sich im antiliberalen und konservativ-revolutionären-Spektrum verorteten, kulminierten im „Kulturbund“ und der monatlich erscheinenden Zeitschrift Europäische Revue. Beide hatte der österreichische Publizist Karl-Anton Prinz Rohan gegründet, dessen konservative Positionen maßgeblich den Europa-Diskurs der 1920er Jahre motivierten. Er war glühender Verehrer des italienischen Faschismus, den er als „konservative Revolution“ feierte in Anlehnung an Othmar Spann. Der Theoretiker des Ständestaates setzte als Gegenmodell zur Demokratie auf eine neuadlige Führungselite aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Diese Eliten zusammenzuführen war das zentrale Anliegen des „Kulturbundes“, der in Opposition zum Völkerbund das Fundament für eine konservativ-revolutionäre Idealgesellschaft legen sollte. Doch schlossen weder Antiliberalismus noch kulturkonservativer Nationalismus ein glühendes Bekenntnis zu Europa aus. 

Prominent liest sich auch die Liste leitender Kulturbund-Mitglieder in Deutschland: Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer, Ernst Robert Curtius und Carl Schmitt, Wilhelm Furtwängler sowie Max Liebermann und Max Beckmann. Auch Schriftsteller beteiligten sich in großer Zahl: Rudolf G. Binding, Karl Wolfskehl, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal. In der Europäischen Revue publizierten Schmitt, Heinrich von Gleichen, Franz Werfel, Gottfried Benn und Hermann Hesse. Tatsächlich ist der Europa-Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts in seiner politischen Spannweite zwischen Links und Rechts und seiner literarischen Dimension bis heute nicht hinreichend erfaßt worden.

Kontakt: Universität Heidelberg, Kommunikation und Marketing. Rabengasse 1, 69117 Heidelberg. 

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