© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Mann mit Hut
Deutschrock: Zum 75. Geburtstag des Sängers Udo Lindenberg
Boris T. Kaiser

Er ist einer, der irgendwie schon immer da war. Oft totgesagt, noch öfter auferstanden. Spötter bezeichnen Udo Lindenberg auch deshalb gern als „Rock-Zombie“. Aber selbst das trägt zu der Aura bei, die ihn inzwischen umgibt. Am kommenden Montag feiert der Sänger, der die Nation mit Hits wie „Hinterm Horizont“ oder „Ein Herz kann man nicht reparieren“ begeisterte, seinen 75. Geburtstag. Daß der selbsternannte Panikrocker dieses Alter überhaupt erreicht hat, und dabei auch noch relativ gut im Saft steht, grenzt an ein Wunder.

Der im westfälischen Gronau als zweitältestes von vier Kindern geborene Lindenberg machte nie einen Hehl daraus, daß er im Leben nichts ausgelassen hat. Man wird ihm sicherlich kein allzu großes Unrecht tun, wenn man behauptet, daß „Udo“, wie ihn seine Fans schlicht nennen, wohl bereits in jungen Jahren das Sortiment eines gutsortierten „Straßen-Apothekers“ ziemlich komplett einmal rauf und runter probiert haben dürfte. Dazu kamen jede Menge Alkohol und natürlich die Zigarren, die bis heute zu seinen Markenzeichen sind.

Seine münsterländische Heimatstadt wurde dem jugendlichen Lindenberg früh zu klein. Mit 15 begann er eine Ausbildung im Breidenbacher Hof, einem Nobelhotel an der Düsseldorfer Königsallee. Seine Affinität zu Hotels der Luxusklasse hat er sich bewahrt. Besonders seine Liebe zum Fünf- Sterne-Hotel Atlantic in Hamburg, das von Mitte der 1990er Jahre an zu seinem Zuhause und festen Wohnsitz werden sollte und dem er in Songzeilen, Musikvideos und vor allem mit seinem „MTV Unplugged“-Livekonzert 2011 musikalische Denkmäler setzte. Auch wenn letzteres eigentlich in der Veranstaltungshalle K6 der Hamburger Kampnagelfabrik stattfand und lediglich im Namen auf die Lieblingsunterkunft des hauseigenen Enfant terribles hinweist.

Seine ersten Aufritte als Musiker hatte Lindenberg, der damals noch davon träumte, als Kellner auf Kreuzfahrtschiffen anzuheuern, in den berühmten Altstadtkneipen der Landeshauptstadt am Rhein. Den Traum vom Schiffskellner verwarf er bald. Die große Welt sollte der Junge dennoch schon bald zu sehen bekommen. Mit gerade eimal 17 Jahren verschlug es den späteren Rockstar, nach einigen Zwischenstationen in Norddeutschland und Frankreich, in die libysche Hauptstadt Tripolis, wo er erste Kontakte zu vorwiegend Jazzmusikern knüpfte und in Clubs eines US-Luftwaffenstützpunktes spielte.

Freundschaft mit dem Popliteraten Stuckrad-Barre

Ob er auf diese Zeit heute noch stolz ist, darf bezweifelt werden. Lindenberg war es in der Regel sehr wichtig, auf der politisch „richtigen“ Seite zu stehen; und das war für ihn nur selten die der Amerikaner. Mit Liedern wie „Gene Galaxo“ (1976), „Wozu sind Kriege da?“ (1981), „Sie brauchen keinen Führer“ (1984), dem von vielen als gewaltverherrlichend verschrienen Song „Panik-Panther“ (1992) und vielen weiteren politischen Haltungshymnen bezog der Sänger stets Stellung gegen Rechts, Atomkraft und Militarismus. Immer vorgetragen mit viel Inbrunst und jeder Menge Pathos. Aber eben auch immer ein bißchen anstrengend. Sein Missionierungsdrang war so stark ausgeprägt, daß er damit nicht selten sogar den eigenen Kollegen und musikalischen Gesinnungsgenossen auf die Nerven ging. Für Sängerin Nena („99 Luftballons“) soll Lindenberg laut eigenem Bekenntnis einst nur ein „Sack“ gewesen sein. Was sie aber nicht davon abhielt, später eine rund einjährige Liaison mit ihm anzufangen.

Bis heute unvergessen ist Lindenbergs kulturell prägende Rolle in der Geschichte des geteilten Deutschlands. Als zwar „all die ganzen Schlageraffen“ im „Arbeiter- und Bauernstaat“ singen durften, „nur der kleine Udo“ nicht, nahm er 1983 aus Protest seinen noch immer legendären „Sonderzug nach Pankow“ auf. Wenig später durfte er tatsächlich im Ost-Berliner „Palast der Republik“ auftreten. Eine Anekdote, die sich am Rande des Konzertes abspielte: Während bei dem Auftritt vorwiegend linientreue Parteigenossen zugelassen waren, sammelten sich seine wahren Fans vor dem Berliner Hotel, in dem der Rocker wohnte. Allein seine Silhouette mit dem obligatorischen Hut im Lichtschein des Hotelfensters genügte, um die Menge in frenetische Begeisterung zu versetzen.

Eine besondere Geschichte verbindet Lindenberg auch mit dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre. Der ehemalige Gagschreiber von Harald Schmidt hatte in seiner Zeit als Musikkritiker und später als Verfasser satirischer Texte über den deutschen Unterhaltungsbetrieb immer wieder höhnische Verrisse über sein einstiges Jugendidol geschrieben. Nachdem der Popliterat nach zahlreichen Alkohol- und Kokainabstürzen feststellte, daß das einzige, woran er sich, selbst in noch so jämmerlichen Zuständen, noch erinnern konnte, die alten Texte von Udo waren, stand er eines Tages völlig verzweifelt und reumütig vor dessen Tür. Zwischen den beiden entstand eine außergewöhnliche Freundschaft. Lindenberg half dem gestrauchelten Journalisten, man glaubt es kaum, sogar vom Alkohol und den Drogen loszukommen.

Eine Episode aus dieser Zeit, die Stuckrad-Barre gerne erzählt, handelt von einer Fahrt über Lindenbergs Revier, die Hamburger Reeperbahn, bei der der „König von Scheißegalien“ seinem einstigen Kritiker die vielen Amüsierbetriebe der Partymeile zeigte, um ihm, mit den Worten „alles langweilig“, die Nichtigkeit solch flüchtiger Vergnügungen klarzumachen. Eine Geschichte wie ein Lindenberg-Song.


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