© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

„Horizonte erweitern und Relevanz schaffen“
Mit ehemaligen ARD-Moderatoren: RTL und ProSieben starten Nachrichten-Offensive
Ronald Berthold

Die Privatsender RTL und ProSieben starten eine Info-Offensive. Mit prominenten ehemaligen ARD-Moderatoren wollen sich beide einen seriöseren Anstrich verpassen. RTL wird mit dem früheren „Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer in den Ring steigen. ProSieben versucht sich mit Linda Zervakis, die ebenfalls die Nachrichtensendung im Ersten präsentiert hat, und Ex-ARD-Mann Matthias Opdenhövel.

Auf mehr Vielfalt als in den Öffentlich-Rechtlichen darf der Zuschauer indes nicht hoffen. ProSieben-Chef Daniel Rosemann verriet zwar wenig über die konkreten Inhalte der neuen Sendung, schloß aber eines ausdrücklich aus: AfD-Politiker werden nicht zu Wort kommen. Der stärksten Oppositionspartei dürfe man „keine Plattform“ bieten. Begründung: Diese werde vom Verfassungsschutz beobachtet.

Der Privatsender aus Unterföhring, der hauptsächlich Kinofilme und US-Serien zeigt, wolle sich, so Rosemann, „an die Königsdisziplin“ wagen. Mit dem Info-Magazin „Zervakis & Opdenhövel. Live“ werde man Politik einordnen, „Horizonte erweitern und Relevanz schaffen“. Geplant seien Einspielfilme und Studio-Interviews. Die Sendung wird einmal wöchentlich, wann genau ist noch unklar, für zwei Stunden ab 20.15 Uhr gezeigt. Als Einstieg bei ihrem neuen Arbeitsgeber interviewte Zervakis vergangenen Mittwoch den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im Rahmen eines „ProSieben Spezial Live“.

Die 45jährige Zervakis gilt dem Sender dabei aufgrund ihrer „Tagesschau“-Vergangenheit als das glaubwürdige Aushängeschild. Ab 2023 wird die Sendergruppe „ProSiebenSat.1“ auch die Nachrichten selbst produzieren. Dafür baut sie eine 60köpfige Nachrichtenredaktion auf und errichtet ein eigenes Studio. Bisher werden diese Formate von Axel Springer produziert.

In Köln geht man noch einen Schritt weiter. Jan Hofer, der bisher schon mehrere Gastauftritte bei RTL hatte, wird sogar ein tägliches Nachrichtenmagazin im Hauptabendprogramm moderieren. Die Sendung solle zwischen den „RTL aktuell“-Nachrichten am Vorabend und dem „RTL Nachtjournal“ um Mitternacht laufen.

In der Corona-Krise steigen die Fernsehquoten

Hofer soll das seriöse Gesicht des bisher vor allem für Unterhaltungsformate und jugendliche Zielgruppen bekannten Senders werden. Unbestätigten Recherchen zufolge ist er 71 Jahre alt. Der Sprecher macht ein Geheimnis um sein Alter, gab sein Geburtsjahr schon mit 1952 und 1954 an und soll bürgerlich eigentlich Johannes Neuenhofer heißen, was er bestreitet. Juristisch jedoch unterlag er mit der Behauptung, „Jan Hofer“ sei kein Pseudonym. 35 Jahre las er die „Tagesschau“-Nachrichten vor.

Genau wie ProSieben wollen die Kölner, die gleichzeitig die „RTL aktuell“-Ausgabe am Nachmittag verlängern, damit ein älteres Publikum gewinnen, das sich bisher vor allem bei ARD und ZDF informiert. Der Zeitpunkt mit dem Start zum Bundestagswahlkampf ist dabei geschickt gewählt.

Denn das Vorfeld der Abstimmung, in dem ein sonst weitgehender Konsens unter den etablierten Parteien aufgebrochen wird, verspricht Aufmerksamkeit. Politische Auseinandersetzungen erhöhen die Reichweite der Medien. Das lehrt die Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump. Seine zugespitzte Rhetorik und verbalen Angriffe ließen die Quoten der TV-Sender massiv steigen. Nach seiner Abwahl brachen diese wieder ein.

Zudem fällt die Nachrichtenoffensive der Privatsender in eine Zeit, in der der bisher stetige Abwärtstrend des Fernsehens durch den Dauerlockdown zumindest vorübergehend gestoppt scheint. Erstmals seit zehn Jahren schalteten im vergangenen Jahr wieder mehr Deutsche den TV-Apparat ein. Sowohl das Informationsbedürfnis zum Coronavirus als auch der Mangel an Alternativen in einem geschlossenen Land dürften zur Trendumkehr beigetragen haben. Der Anteil der täglichen Zuschauer stieg vom absoluten Tiefpunkt 2019 mit 69,8 auf nun 72 Prozent. Höher hatte die Quote zuletzt vor neun Jahren gelegen. An die Zahlen aus den Nuller-Jahren mit bis zu fast 76 Prozent reichen sie allerdings längst nicht heran.

Ob das Monopol der Öffentlich-Rechtlichen auf Auswahl und Aufbereitung der Nachrichten mit der Offensive der Privatsender gebrochen wird, scheint fraglich. Sowohl das Personal als auch die Ankündigungen sprechen dafür, daß RTL und ProSieben ähnliche Inhalte höchstens etwas unterhaltsamer präsentieren werden.