© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Frisch gepresst

Kaiserreich. Auch wenn das 150jährige Gründungsjubiläum des zweiten Deutschen Reiches offiziell nicht gewürdigt worden ist, signalisierten die Verlagsprogramme bereits im letzten Herbst, sicher darauf spekulieren zu dürfen, daß der 18. Januar 1871 als Geburtsstunde des deutschen Kaiserreichs noch nicht gänzlich aus der kollektiven Erinnerung verschwunden ist. Darauf vertraute auch der Düsseldorfer Neuhistoriker Christoph Nonn, der seine Taschenbuchfassung zur Geschichte des Kaiserreichs (2017) zu einer üppigen Darstellung von fast 700 Seiten ausbaute. Die überraschenderweise einem breiteren Publikum eine kurzweiligere Lektüre erlaubt als das staubtrockene, weil an Geschichtsstudenten adressierte Bändchen. Nonn löst hier, in einer Kombination von Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ und Walter Kempowskis „Echolot“, Historie in wirklichkeitsdurchleuchtende Röntgenaufnahmen auf, für die er zwölf Tage auswählt. Diese Miniaturen vergegenwärtigen beispielhaft die Komplexität und die Widersprüche der wilhelminischen Gesellschaft, wobei nicht alles so unterhaltsam ist wie im Kapitel über den 16. Oktober 1906, dem Tag, als der vorbestrafte Schuster Wilhelm Voigt in Hauptmannsuniform ins Rathaus von Köpenick spazierte. (dg) 

Christoph Nonn: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs 1871–1918. Verlag C. H. Beck, München 2020, gebunden, 686 Seiten, 34 Euro





Corona-Satire. Die nigerianische Lehrerein Mercy Okojie wird auf dem Höhepunkt der Corona-Krise beinahe in ein lesbisches Abenteuer mit ihrer Kollegin, die von allen nur „die rote Zora“ genannt wird, verwickelt. Im letzten Augenblick ruht ihr Blick auf der Goldkette der Verführerin, billigster Tinnef  vom Karneval der Kulturen, doch die Symbole des Kettchens waren wohlvertraut aus Mercys Heimat und lassen sie in ihrem Tun innehalten. Währenddessen fällt bei einer Anti-Corona-Demonstration von einer Schülerin der Satz, sie fühle sich wie Sophie Scholl, worauf ein anderer Demo-Teilnehmer mit der Bemerkung reagiert, er fühle sich wie Hitler, und damit einen republikweiten Skandal auslöst. Mercy Okojie – das Pseudonym steht für einen bekannten mittelhessischen Ernst Jünger-Verehrer – präsentiert köstliche Satiren aus Corona-Deutschland in deprimierenden Zeiten. (W.O.)

Mercy Okojie: Das geht gar nicht! Satiren aus Corona-Deutschland. Bautz Verlag, Nordhausen 2021, broschiert, 47 Seiten, 7 Euro