© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/21 / 14. Mai 2021

Ökoenergie zerstört, was sie bewahren will
Fragwürdige Grünstromprojekte bedrohen Naturreservate in den Hochalpen / Windkraftfreies Südtirol
Christoph Keller

Wer sich heute ein Urlaubsziel zwischen Nordfriesland und der Steiermark wählt, dem ergeht es wie Meister Lampe im Märchen von Hase und Igel: Bei jeder Ankunft tönt ihm ein „Ick bin all doar!“ entgegen. Nirgendwo ein ungetrübtes Landschaftserlebnis mehr, überall ist der Horizont von Windkraftturbinen verstellt. Daß Windparks in Nord- und Ostsee expandieren, ist bekannt. Daß sie auch Hochgebirgsregionen erobern, scheint der Öffentlichkeit bisher ebenso entgangen zu sein wie die Fragwürdigkeit solcher auf bis zu 3.000 Metern Höhe angesiedelten Grünstromprojekte.

Deren grotesken Widersinn zeigt Georg Etscheit, in den 1980ern Mitbegründer der Grünen in München, heute profilierter Windkraftgegner, in seiner Reportage über die Alpen als neues Ökostrom-Dorado auf (Natur 3/21). Als deren brutalster Einbruch in die Gebirgsnatur gilt der alpine Windpark im Bezirk Deutschlandsberg auf der Hand­alm, die zur landschaftlich reizvollen Koralpe an der Grenze der Steiermark zu Kärnten gehört.

Klima-Prestigeprojekt mit kirchlichem Segen

Im Herbst 2017 wurden hier, auf einem 1.800 Meter hoch gelegenen Plateau, 13 Windturbinen mit einer Gesamtleistung von 39 Megawatt in Betrieb genommen. Sie liefern jährlich 76 Gigawattstunden „grünen Strom“ für 21.000 Haushalte. 58 Millionen Euro investierte die mehrheitlich im Landesbesitz befindliche Energie Steiermark AG in dieses „Prestigeprojekt des Klimaschutzes“, das sogar kirchlichen Segen erhielt. Wobei die Betreiber sich selbst loben für ihren „sensiblen Umgang mit dem ökologischen Umfeld, ihre Rücksichtnahme auf den Artenschutz und die umliegenden Almen“.

So tönt die Propaganda des Unternehmens, die den Österreichischen Alpenverein (ÖAV) jedoch nicht von seiner Forderung ablenkt, endlich die gerichtlich angeordnete Installation eines Vogelradarsystems zu realisieren. Dieses „Versäumnis“ ist für den ÖAV um so unerträglicher, als über die Koralpe wichtige Vogelzugrouten verlaufen. Grundsätzlicher argumentiert Etscheit, wenn er erörtert, warum Windräder sich partout im Hochgebirge drehen müssen. Stehe der enorme technische und ökonomische Aufwand dafür überhaupt im vernünftigen Verhältnis zum Ertrag?

Immerhin sei schon der Aufbau ein Kraftakt, da Zufahrtswege für den Transport schwerer Turbinenteile erst planiert werden müssen, ganz zu schweigen von den Kosten für den Anschluß ans Stromnetz. Zudem seien die Rotoren extremem Wind- und Wetterstreß ausgesetzt, besonders im Winter, was die Anlagen reparaturanfällig mache. Und zu allem Überfluß wechseln die Windverhältnisse in den Alpen rasch, sind weniger stabil als im Flachland, „was im Zusammenspiel mit der dünneren Höhenluft den Stromertrag reduzieren kann“.

Bedenken, die die Betreiber nicht plagen. Sie arbeiten sogar daran, weitere Turbinen im ohnehin schon größten alpinen Windpark aufzustellen, so daß Etscheit befürchtet, die Koralpe könne sich zu einem „Hotspot der Windenergie im gesamten Alpenraum“ mausern. Darüber hinaus werde geplant, in der benachbarten Glitzmulde, einem EU-rechtlich geschützten Natura-2000-Gebiet, zusätzlich ein Pumpspeicherkraftwerk zu bauen – mit 1.000 Megawatt Leistung das bislang größte Österreichs.

Für den ÖAV wäre damit definitiv eine rote Linie überschritten. Denn ein solcher „massiver Angriff auf alpine Freiräume“ hätte „schwerwiegende und nicht mehr heilbare Auswirkungen auf Naturräume, Gewässer, Trinkwasservorkommen und Erholungszonen für Mensch und Tier“. Selbst die österreichischen Grünen stimmen in diese Kritik ein, wobei Etscheit offenläßt, ob sie nur deshalb Skrupel haben, weil die Pumpspeicher auch tschechischen und slowenischen Atomstrom „grünwaschen“ könnten.

Ein typischer Fall von „Greenwashing“

Den Verdacht, daß für Grüne auch in diesem Fall der Naturschutz eher zweitrangig ist, nährt die Politik ihrer Stuttgarter Parteifreunde, die sich auf eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition unter der Bedingung einigten, die staatlichen Flächen des Ländles sowie den Staatswald, einschließlich der Höhen des Schwarzwaldes, mit bis zu tausend neuen Windrädern zu bestücken.

Mit dem höchstgelegenen Solarkraftwerk Europas am Pitztaler Gletscher in Tirol hat Etscheit ein weiteres abschreckendes Grünstrom-Beispiel zur Hand. In 3.000 Metern Höhe ziehen sich dort 3.500 Module mit einer Spitzenleistung von einem Megawatt am Berghang entlang. Ein Teil des Monstrums ist auf einem „Snowmaker“ installiert, einer Anlage, die auch bei 20 Grad plus künstlichen Schnee für die Pisten des abtauenden Gletschers produziert.

Der Ökostrom werde hemmungslos dafür genutzt, die Folgen des Klimawandels für den Wintersport in den Griff zu bekommen. Ein typischer Fall von „Greenwashing“, da touristische Hochburgen so „klimaneutral“ gemacht würden, damit der Skizirkus, ohne den niemand Strom für „Snowmaker“ benötigte, munter weiterlaufen könne.

Mit nachhaltigem Tourismus habe dieses grün lackierte Massenvergnügen nichts zu tun, warnt der von Etscheit konsultierte Kulturgeograph Werner Bätzing. Der emeritierte Erlanger Professor hat sein vierzigjähriges Forscherleben dem Studium der Entwicklung der Alpenregion vom Natur- zum Wirtschaftsraum gewidmet, als deren bester Kenner er heute gilt. Die folgenschwersten Veränderungen nahmen für Bätzing ab den 1950ern Fahrt auf, als am Alpenrand viele industrielle Arbeitsplätze entstanden.

Das führte zur sukzessiven Abwanderung der kleinräumige Landwirtschaft treibenden Bauernbevölkerung. Ein Trend, der bis heute anhalte, so daß Tausende von Orten im Gebirge nicht mehr bewohnt sind. Dafür füllten sich die großen Alpentäler mit chaotisch wuchernden Siedlungen, die zu Magneten des Massentourismus geworden sind wie etwa Garmisch-Partenkirchen, dessen Einwohnschaft sich seit 1890 von 4.000 auf derzeit 27.000 vergrößerte. Den Urlauberzustrom locke zwar schon lange keine wirklich „unberührte Alpenkulisse“ mehr in die Berge, aber der Vormarsch der Ökostromerzeuger würde für Bätzing selbst die verbliebenen attraktiven Reste dieses „touristischen Alleinstellungsmerkmals“ schleifen.

Weil man südlich der Brenner-Grenze eingesehen hat, daß „alternative Energiegewinnung unsinnig ist, wo sie zerstört, was sie bewahren will“, wie Etscheit die Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner zitiert, ist man dort bereits nach Bätzings Rezepten für angepaßte Landwirtschaft und nachhaltigen Tourismus verfahren. Vor zehn Jahren erklärte sich Südtirol zur windkraftfreien Zone. Ein auf der Höhe des Brennerpasses geplanter Windpark wurde deshalb „beerdigt“. Von dem Bann ausgenommen sind nur kleine Windräder, die Hütten und Berggasthöfe mit CO2-freiem Strom versorgen.

„Berge als Batterien“, in Natur 3/21:

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