© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Wo bleibt der Sani?!
Bundeswehr: Kein Minister kommt ohne Reform aus – deswegen will auch Annegret Kramp-Karrenbauer die Truppe rasch noch umbauen
Peter Möller

Die Bundeswehr ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein. Dieser eigentlich auf das aufstrebende Berlin der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gemünzte Ausspruch des Kunstkritikers Karl Scheffler paßt auf bestechende Weise auf das Schicksal der deutschen Streitkräfte seit dem Epochenumbruch von 1989/90. Atemlos jagt seit dem Ende des Kalten Kriege eine Reform die nächste, fast scheint es, als gehöre es mittlerweile zur Stellenbeschreibung des Verteidigungsministers, daß jeder neue Ressortchef in seiner Amtszeit eine tiefgreifende Veränderung der Truppe auf den Weg bringen müsse.

Nun hat auch Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) einen Plan für den Umbau der Truppe ausarbeiten lassen, der bereits vor seiner offiziellen Präsentation am Dienstag für viel Unruhe in der Bundeswehr gesorgt hat. Anders als bei den meisten Reformen der vergangenen dreißig Jahre geht es diesmal zwar nicht um eine Truppenreduzierung oder die Schließung von Standorten, dennoch stoßen die Pläne aus dem Verteidigungsministerium auf teilweise deutlichen Widerstand bei den betroffenen Truppenteilen.

Kommt eine weitere Uniformfarbe hinzu?

Ende April hatte das Magazin Business Insider über die Überlegungen des Verteidigungsministeriums berichtet. Der Kernpunkt der geplanten Umstrukturierung ist demnach die Auflösung der Streitkräftebasis und des Sanitätsdienstes, die wieder weitgehend in die Teilstreitkräfte integriert werden sollen. Durch den dadurch möglichen Abbau von Führungsstrukturen sollen Dienstposten für andere Aufgaben frei werden. Denn beim Sanitätsdienst soll es beispielsweise künftig keinen Inspekteur mit einem eigenen Kommando mehr geben, sondern einen Generalarzt, der mit einem kleinen Stab dem Generalinspekteur angegliedert ist. Die Sanitäts-Einsatzkräfte werden in Bataillone umgegliedert und dem Heer unterstellt.

Die vielleicht bemerkenswerteste Änderung ist aber die Aufstellung einer neuen Teilstreitkraft. Neben dem Heer, der Marine und der Luftwaffe soll künftig eine vierte Teilstreitkraft für den Cyber- und Informationsraum zuständig sein und damit die neue Dimension der Kriegsführung beziehungsweise Verteidigung im Internet abdecken und unter anderem für die Sicherheit und den Betrieb der Streitkräfte-IT sowie der Informationsgewinnung zuständig sein. Neben den grauen Uniformen des Heeres, den blauen der Luftwaffe und den dunkelblauen der Marine könnte es somit bald eine weitere Uniformfarbe in den Reihen der Bundeswehr geben.

Ein weiterer Baustein der Strukturreform ist die Aufwertung des sogenannten Kommandos Territoriale Aufgaben, das für die Hilfe der Bundeswehr im Inland etwa bei einer Flut oder zur Unterstützung ziviler Behörden während der Pandemie verantwortlich ist. Der Kommandeur, Generalmajor Carsten Breuer, solle dem Vernehmen nach zu einem Nationalen Territorialen Befehlshaber aufgewertet werden und künftig die gesamte Inlandstätigkeit der Bundeswehr steuern.

Der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, reagierte auf den Bericht über die geplante Auflösung seiner Truppe entsetzt. Die Zerschlagung des Sanitätsdienstes, in dem allein rund 20.000 Soldaten organisiert sind, „läßt mich mit Sorge auf die Zukunft der Gesundheitsversorgung unserer Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland blicken“, warnt er in einem Brief an die Verteidigungsministerin. Er fürchte einen „Verlust von Effizienz, Qualität in der Versorgung, Attraktivität für den Nachwuchs und Vertrauen der Angehörigen des Sanitätsdienstes in die Führung“. Gerade die einheitliche Führung durch einen Sanitätschef habe dazu geführt, daß der Sanitätsdienst einer der „leistungsfähigsten und effizientesten Sanitätsdienstes im Bündnis, wenn nicht gar weltweit“ sei.

Die Pläne Kramp-Karrenbauers stoßen allerdings nicht nur auf Ablehnung. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes André Wüstner hält eine Strukturreform der Bundeswehr für dringend nötig. „Wir müssen weg von Überregulierung und unzähligen Entscheidern ohne Ergebnisverantwortung, hin zu mehr Einsatzbereitschaft durch einen besseren Zuschnitt von Verantwortung und Ressourcen, Dezentralisierung und bruchfreier Führungsfähigkeit“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Geht es nach der Verteidigungsministerin, wird der Umbau der Bundeswehr noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Kramp-Karrenbauer, so wird in Berlin vermutet, will sich mit diesem Arbeitsnachweis für eine weitere Amtszeit nach der Bundestagswahl im Herbst empfehlen. Doch angesichts der nun aufkommenden Kritik an den Reformplänen ist es mehr als ungewiß, daß sich die CDU-Politikerin damit durchsetzen kann.

Viele Verteidigungspolitiker nehmen es Kramp-Karrenbauer übel, daß sie erst aus den Medien über die Umbaupläne für die Streitkräfte erfahren haben. „Seit Tagen wabern durch die Medien Pläne über einen großen Umbau der Bundeswehr“, klagte bereits Anfang Mai der Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuß, Tobias Lindner, in der ARD. „Die Truppe ist verunsichert, mich erreichen Zuschriften.“ Kramp-Karrenbauer aber würde auf die militärische Ebene im Ministerium verweisen, sie selber fühle sich für das „Wirrwarr“ nicht verantwortlich.