© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Nicht mehr kleinzureden
Ausschreitungen bei Anti-Israel-Protesten: Die deutsche Politik ringt mit dem Problem eines durch Einwanderung importierten Antisemitismus
Ronald Berthold

Mit dem Haß gegen Juden, den aggressiven „Allahu Akbar“-Rufen und der Gewalt gegen Polizisten auf Deutschlands Straßen umzugehen, ist Medien und Politik zunächst schwergefallen. Nicht nur ARD und ZDF versuchten, die Exzesse auszublenden oder kleinzureden. Für EVP-Chef Manfred Weber (CSU) trägt sogar die AfD Mitverantwortung. Auf den Gedanken, daß die Ursache auch in der unkontrollierten Zuwanderung muslimischer Männer liegen könnte, kommen nicht viele.

Einer der wenigen, der es wagt, diesen Zusammenhang anzusprechen, ist Hamed Abdel-Samad (siehe Seite 7). Der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler kritisiert: „Die deutsche Politik hat nicht verstanden, daß mit Einwanderung aus den arabischen Ländern auch mehr Antisemitismus nach Deutschland kommt.“ Und er vermutet, warum das Offensichtliche kaum jemand ausspricht: „Wer das sagt, wird sofort in die rechte Ecke gestellt.“

„Anti-Rassismus-Debatte ist ein Teil des Problems“

Zahlreiche Demonstrationen in deutschen Städten wegen des bewaffneten Konfliktes zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel sind eskaliert. Es blieb nicht bei antijüdischen Schlachtrufen. Allein bei einem Protestzug von Arabern in Berlin-Neukölln am Sonnabend wurden 93 Polizisten verletzt. Die Beamten konnten 59 der 3.500 Teilnehmer festnehmen. Diesen wird unter anderem schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Gewalt gegen Polizeibeamte sowie Gefangenenbefreiung vorgeworfen.

Besonders auffällig: Bereits zu Beginn des Aufmarsches begannen junge Männer, Böller zu zünden und auf die Beamten zu werfen. Später flogen auch Flaschen und Steine. Journalisten, die über die Demonstrationen bis dahin meist wohlwollend berichtet hatten, waren ebenfalls Zielscheibe des aggressiven Mobs. Die Polizei bekam die Lage stundenlang nicht in den Griff. Dies sorgte zum Teil für einen Wandel in der Einordnung: Nach einer Schockstarre und nachdem die Brutalität nicht mehr totzuschweigen war, tat Innensenator Andreas Geisel (SPD) etwas für den rot-rot-grünen Senat Ungewöhnliches. Er benannte am Montag die Täter: Es habe sich um „mehrere hundert arabischstämmige Jugendliche“ gehandelt. 

Der Politiker sagte, er wolle nun an einem „runden Tisch“ darüber reden, „wie wir die Sicherheit für Menschen jüdischen Glaubens und israelische Einrichtungen in Berlin auf Dauer gewährleisten können und wie wir diesen Menschen deutlich machen können, daß sie hier in dieser Gesellschaft sicher leben“. 

Im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses erwähnte Geisel später „300 bis 400 junge Männer, arabischstämmig, nicht politisch organisiert, eher erlebnis-

orientiert.“ Das wiederum sorgte für Kritik seitens der Opposition. Von einer „Verkehrung der Tatsachen“ sprach der Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski. „Wir haben es hier mit brutalen Antisemiten zu tun. Nicht mit angeheiterten Partybesuchern. Darum kann es nur eine Antwort geben: harte Strafen und – wo immer möglich – Abschiebung der Täter“, verdeutlichte Pazderski im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion, Karsten Woldeit, kritisierte, der Innensenator hätte die Demonstration im Vorfeld verbieten sollen, denn eine der Anmelder-Gruppen sei in Israel als Terror-Organisation eingestuft. 

Ungeahnt scharfe Töne kamen nun auch aus der Hauptstadt-CDU. Fraktionschef Burkard Dregger animierte die beteiligten Migranten zum „Auswandern“: „Die haben hier in Deutschland nichts zu suchen.“ Ein anderer Unions-Politiker kühlte sein Mütchen dagegen an der Opposition. „Radikale wie die AfD“, so der Vorsitzende der EVP-Fraktion und stellvertretende CSU-Chef Manfred Weber, oder die Partei von Marine Le Pen in Frankreich hätten „Grenzverschiebungen beim Antisemitismus befeuert“. 

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen wies dies gegenüber der jungen freiheit zurück: „Während meine Partei fest und in aller gebotenen Klarheit an der Seite der Juden in Deutschland und Israels steht, vertritt Herr Weber jene Partei, die den derzeit sich Bahn brechenden aggressiven Antisemitismus durch ihre vollkommen unverantwortliche Politik der Öffnung der Grenzen 2015 im Zuge der Asylkrise für illegale Massenmigration überhaupt erst massiv ermöglicht hat.“ Zuvor waren auch in zahlreichen anderen Städten Muslime gewalttätig auf die Straßen gegangen. In Mannheim bewarfen sie Polizisten mit Steinen. 

Und in Gelsenkirchen marschierten 180 Migranten unangemeldet vor eine Synagoge. Die Menschen, die palästinensische, tunesische und türkische Flaggen schwangen, riefen antisemitische Parolen. Über zwei Stunden unterband die Polizei das Treiben nicht – nach ihren Angaben, weil sie sonst das Gebäude nicht mehr hätte schützen können. Eine Synagoge in Bonn beschädigten Ausländer mit Steinwürfen. Auch in Münster wurde ein jüdisches Gotteshaus bedroht. Israel-Fahnen brannten. Zwischen die Fronten geriet die Stadt Hagen. Anläßlich des 56. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel hatte der parteilose Bürgermeister die Flagge mit dem Davidstern hissen lassen. Wenige Stunden später forderte die Polizei die Kommune auf, die Fahne „sofort abzuhängen“. Die Muslime der Stadt hatten sich beleidigt und provoziert gefühlt. Aufgrund der Bedrohungslage wurde dem Ansinnen umgehend gefolgt.

Abdel-Samad sieht die Ursache für solche Unterwerfungen auch in der verfehlten Integrationspolitik. „Menschen, die hierherkommen, tragen in ihren Koffern so viele Konflikte aus der Heimat“, meint er. Der Antisemitismus gehöre „sozusagen zur Bildungspolitik in der arabischen Welt“. Er bemängelt: „Man darf mit ihnen in Schulen oder in Integrationskursen gar nicht über solche Konflikte sprechen.“ Für den Islamkritiker ist „diese Antirassismus-Debatte“ ein Teil des Problems. Denn: „Muslime oder Migranten werden geschlossen als Opfer-Gruppe gesehen, und nur der weiße Mann gilt als der Täter.“

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) forderte mehr Anstrengungen bei der Integration. Deutschland müsse muslimischen Migranten klarmachen, sie seien „in ein Land eingewandert, in dem die besondere Verantwortung für Israel Teil unseres Selbstverständnisses ist“. Zudem brauche es „den größtmöglichen Schutz für die jüdischen Gemeinden und Einrichtungen“. Inzwischen hat Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock den offen gezeigten Antisemitismus als „Angriff auf die Menschenwürde“ bezeichnet. 

Bei der Benennung der Akteure blieb sie zurückhaltend. Dies gelte für jeden, „egal, woher er kommt“. Immerhin „bei einem kleinen Teil der muslimischen Menschen in Deutschland“ sieht Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus antisemitische Einstellungen. Wer den Schutz jüdischen Lebens nicht achte, „hat sein Gastrecht hier verwirkt“. 





Ausschließlich rechtsextrem?

Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte jüngst vor der Hauptstadtpresse betont: Antisemitisch motivierte Straftaten seien „nahezu ausschließlich rechtsextrem motiviert“. Das werde zwar „mitunter immer wieder bestritten, aber es ist eindeutig“, meinte der CSU-Politiker. Tatsächlich wurden in der Statistik des Bundeskriminalamts die 2.351 im Jahr 2020 gezählten antisemitischen Straftaten zu 94,6 Prozent als „rechtsmotiviert“ eingestuft. Kritiker sind schon lange davon überzeugt, daß dies nicht stimmen kann. Bereits 2019 hatte eine Antwort des Berliner Senats auf die Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (damals FDP, jetzt fraktonslos) ergeben, daß antisemitische Delikte, die nicht klar einem Täter zuweisbar sind, pauschal als rechtsmotiviert eingeordnet werden. Weil viele Täter nicht ermittelt werden, kommt es zu einer starken Verzerrung in der Statistik. Einer auf Aussagen von Opfern beruhenden Studie der Universität Bielefeld zufolge gehen mehr als achtzig Prozent der antisemitischen Angriffe von Muslimen aus. Ein Sprecher des Innenminsteriums teilte bezüglich der aktuellen antijüdischen Vorfälle mit, es sei  noch„zu früh, jetzt über etwaige Tatverdächtige zu spekulieren“. (vo)

Fotos: Bengalos auf einer Demonstration palästinensischer Gruppen in Kassel: Es bleibt nicht bei judenfeindlichen Rufen; Plakat bei einem Protest in München: „Zionismus ist Rassismus“