© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Abschub mit Hindernissen
Dänemark: Die rigide sozialdemokratische Migrationspolitik entzweit das linke Lager / Basis und Funktionäre rebellieren
Christoph Arndt

Dänemarks sozialdemokratische Minderheitsregierung steht derzeit vor einer Belastungsprobe. Nachdem die Sozialdemokraten 2019 die Wahl dank ihres Kurswechsels zu einer restriktiven Asyl- und Zuwanderungspolitik klar gewannen, müssen sie derzeit beweisen, inwieweit dieser auch in der Praxis umgesetzt wird respektive umgesetzt werden kann.

Konkret zeigt sich dies derzeit am Beispiel geplanter Abschiebungen nach Syrien sowie der Frage, ob nach Syrien gereiste IS-Kämpfer mit dänischer Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltstitel zurückgeholt werden sollen.

Der mediale Druck wächst und wächst

Bereits seit 2020 debattiert man in Dänemark, ob Eltern, die mit ihren Kindern zur Unterstützung des IS nach Syrien gereist sind oder dort ihre Kinder bekamen und jetzt in Gefangenenlagern sitzen, nach Dänemark zurückgeholt werden sollen. Die Befürworter der Rückholung, zumeist aus linken Parteien, verweisen auf die humanitäre Lage der Kinder, während die Gegner auf das Sicherheitsrisiko, das von diesen Personen ausgeht, verweisen.

Die sozialdemokratische Regierung hat es bis dato abgelehnt, Kinder mit dänischer Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltstitel gemeinsam mit ihren Müttern zurückzuholen. Ihr Argument ist, daß die Eltern Dänemark den Rücken gekehrt haben, um den militanten und radikalislamischen IS zu unterstützen. Die Regierung prüft jedoch, ob es in Einzelfällen möglich ist, nur Kinder mit Dänemarkbezug aus den Lagern zu holen, jedoch ohne die Eltern, welche ihr Rückkehrrecht nach Ansicht von Außenminister Jeppe Kofod verwirkt haben.

Kofod und die Sozialdemokraten werden in dieser Frage von der radikal-linken Einheitsliste, der Sozialistischen Volkspartei (SF) und der sozialliberalen Radikale Venstre (RV) unter Druck gesetzt, um einen Schwenk bei der Rückholung dänischer IS-Kämpfer mit Kindern zu erzwingen. Die bürgerlichen Parteien haben die Sozialdemokraten in dieser Frage bisher gestützt und zusammen mit der Regierung auch ein verschärftes Einbürgerungsrecht im Frühjahr verabschiedet, welches die Einbürgerung von Ausländern mit Vorstrafen deutlich erschwert.

Eine ähnliche Konfliktlinie gibt es in der Abschiebepolitik. Nachdem die Regierung im April Syrien generell zu einem sicheren Land erklärte und damit begann, Aufenthaltstitel von syrischen Flüchtlingen einzuziehen, trommeln Flüchtlingeaktivisten und linke Parteien für einen Stopp dieser Praxis und der Abschiebungen. Dabei wird oft der Fall von zwei syrischen Studentinnen vorgebracht, welche aufgrund ihrer Auftritte in dänischen Medien nun bei einer Rückführung in Gefahr seien. 

Daher sollte man nach Ansicht des Flüchtlingsanwaltes Niels-Erik Hansen prüfen, ob Medienauftritte als Begründung für die Erteilung von Aufenthaltstiteln durch die Asylbehörde Flygtningenævnet gelten können. Die langjährige Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard, fühlte sich angesichts dieser Forderung in das Jahr 1992 zurückversetzt. Damals bekamen 321 staatenlose Palästinenser nach massiver medialer Berichterstattung, einer Kirchenbesetzung sowie Druck von Künstlern und Intellektuellen dank eines Sondergesetzes Asyl, nachdem die bürgerliche Minderheitsregierung Poul Schlüters (Konservative) letztlich einknickte.

Da die Sozialdemokraten bisher an der Abschiebepolitik festhalten, bedauern es die Sozialliberalen mittlerweile, diese durch Tolerierung an die Macht gebracht zu haben. Auch bei den Tolerierungspartnern SF und der Einheitsliste gibt es Absetzbewegungen von der Regierung. Allerdings ist die Standhaftigkeit der Regierung in Kopenhagen mittlerweile auch an der sozialdemokratischen Basis umstritten. Mittlerweile haben diverse Lokalpolitiker und Bürgermeister sich an ihre Parteiführung gewandt und gefordert, Kinder und Eltern mit Dänemarkbezug aus den Lagern in Syrien zu holen und die restriktive Abschiebepraxis aufzuweichen. Somit hat der mediale Druck und die Moralisierung der Abschiebefrage schon die ersten Zweifler in der Partei gebracht. Die Regierung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen steht vor einer echten Bewährungsprobe, was ihre versprochene Asylpolitik angeht.