© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Kurz unter Druck
Österreich: Ibiza-Untersuchungssausschuß nimmt Fahrt auf / ÖVP im Strudel von Vorwürfen des Amtsmißbrauchs, der Bestechlichkeit und Falschaussagen
Robert Willacker

Sinkende Inzidenzwerte und bevorstehende Öffnungen von weiten Teilen des öffentlichen Lebens haben in Österreich zu einer Verlagerung der parteipolitischen Konfrontation weg von Corona und hin zum sogenannten „Ibiza-Untersuchungsausschuß“ geführt.

Was im Januar 2020 als Untersuchungsausschuß zur Klärung der im „Ibiza-Video“ seitens Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geäußerten Korruptionsvorwürfe begann, ist mittlerweile zu einer breiten parlamentarischen Transparenzoffensive geworden. Dabei im Fokus: ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein engstes Umfeld. Gegen rund ein Dutzend hochrangige Personen im ÖVP-Kosmos werden derzeit seitens verschiedener Staatsanwaltschaften Ermittlungen geführt. Die Verdachtsmomente reichen dabei von Amtsmißbrauch über Bestechlichkeit und Falschaussage bis hin zu Untreue. 

ÖVP-Vertreter sehen in den Ermittlungen eine gemeinsame politische Kampagne der Opposition und der Justiz, genauer gesagt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. 

Chat-Protokolle zeichnen politisches Sittenbild

ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger sprach in diesem Zusammenhang in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse von einem „Tribunal“, dem es um die „Vernichtung des politischen Gegners“ gehe.

Geleakte Chat-Protokolle von Mitgliedern der von 2017 bis 2019 amtierenden ÖVP/FPÖ-Koalitionsregierung zeichnen indes ein Bild einer politischen Kultur des Postenschachers, die auch den jetzigen Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, unter Druck setzt. 

Zentraler Baustein des grünen Wahlkampfs war 2019 das Eintreten für Transparenz und Korruptionsbekämpfung – ein Versprechen, an dem sie sich nun messen lassen müssen. Im bisherigen Verlauf des Ibiza-Untersuchungsausschusses hat sich die Parteispitze der traditionell diskussionsfreudigen Grünen mit Kritik am Koalitionspartner aber auffallend zurückgehalten. Das Trauma des Ausscheidens aus dem Parlament des Jahres 2017 ist innerparteilich nach wie vor stark präsent, ebenso der Verlust der Regierungsbeteiligung in der politisch wichtigen Bundeshauptstadt Wien im vergangenen Jahr. 

Die Diskussion unter politischen Beobachtern dreht sich indes vor allem um das Thema Neuwahlen. Mit Ausnahme der FPÖ hat zwar bisher keine andere Partei ein gesteigertes Interesse an einem Urnengang bekundet, auch weil das Ende der Legislaturperiode das vorläufige Ende des Ibiza-Untersuchungsausschusses bedeuten würde. Spätestens jedoch, wenn infolge der zahlreichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erste Anklagen erhoben werden oder Verurteilungen folgen, wird die Wahrscheinlichkeit einer einseitigen Koalitionsauflösung seitens der Grünen sprunghaft ansteigen. 

Neuwahl-Gerüchte manifestieren sich

Gelänge es in der Folge nicht, eine tragfähige Mehrparteienkoalition zu bilden, wären Neuwahlen unausweichlich. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT kommentiert FPÖ-Chef Norbert Hofer eine mögliche Neuwahl wie folgt: „Die Freiheitliche Partei ist grundsätzlich bereit, in der Krise und darüber hinaus Staatsverantwortung zu übernehmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft zum Regieren. Ich habe in der Vergangenheit deutlich gemacht, daß ich die Kurz-ÖVP weder für regierungs- noch für koalitionsfähig halte. Darüber hinaus lassen wir uns alle Optionen offen.“

Zumindest in den Umfragen haben die Ereignisse rund um den Untersuchungsausschuß der Kanzlerpartei ÖVP bisher kaum geschadet. Sie liegt derzeit bei allen Meinungsforschungsinstituten stabil über 30 Prozent und damit deutlich vor allen anderen Parteien. 

Sollten Neuwahlen im Bund ausbleiben, so findet der erste politische Lackmustest bei den Landtagswahlen im Herbst in Oberösterreich statt. In dem Industriebundesland besteht seit 2015 ein Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ, das auch die Verwerfungen infolge des Ibiza-Videos überdauert hat.