© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Gestaltwandel des Christentums
Religionsgeschichte: Das Lutherhaus Eisenach zeigt eine Ausstellung zum kirchlichen „Entjudungsinstitut“
Karlheinz Weißmann

Während des Theologiestudiums in den 1980er Jahren wurden die Namen zweier Gelehrter mit einer Mischung aus Widerwillen und Bewunderung genannt: derjenige Emanuel Hirschs, den man zu den bedeutenden Systematikern, und derjenige Walter Grundmanns, den man zu den bedeutenden Neutestamentlern rechnete. Hirsch hatte das „Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik“ abgefaßt, das Studenten für die Vorbereitung auf das Examen nutzten, von Grundmann gab es mehrere Bände des „Theologischen Handkommentars zum Neuen Testament“ und eine ebenso knappe wie konzise Darstellung zur Umwelt des frühen Christentums, die wir für exegetische Arbeiten heranzogen. Das waren die Ursachen der Bewunderung.

Führende Köpfe der „Deutschen Christen“

Die Ursachen des Widerwillens lagen in beider Haltung während der NS-Zeit. Denn Hirsch und Grundmann waren nicht nur „Mitläufer“, sondern Parteigenossen und führende Köpfe der Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) gewesen, jener „braunen“ Protestanten, die eine Art Synthese aus nationalsozialistischer Ideologie und Christentum schaffen wollten.

Während Hirsch bei Kriegsende zwangsweise emeritiert wurde und sein Leben als Privatgelehrter führen mußte, kehrte Grundmann nach einer Schamfrist in den kirchlichen Dienst zurück, veröffentlichte weiterhin in Fachorganen wie populären Schriftenreihen und übernahm sogar Aufgaben in der Theologenausbildung.

Daß das möglich war, hatte auch mit Besonderheiten seiner – der thüringischen – Landeskirche zu tun. Sie gehörte in der DDR zu den Vorreitern der „Kirche im Sozialismus“, aber vor 1945 fand sich hier die Keimzelle der DC. Aus den Reihen ihrer Pfarrerschaft kamen schon während der „Systemzeit“ jene Geistlichen, die zuerst nur eine völkisch-jugendbewegte Strömung innerhalb der Partei zu repräsentieren schienen, aber nach 1933 Einfluß auf die Kirchenpolitik gewannen und sich gleichzeitig gegen religiöse Konkurrenzgruppen – vor allem neuheidnischer Tendenz – und gegen den totalen Machtanspruch des Staates zu behaupten suchten.

Schon daran dürfte deutlich werden, daß die Religionsgeschichte des „Dritten Reichs“ ausgesprochen kompliziert war. Weshalb es lohnt, auf einen Versuch hinzuweisen, wenigstens einen wichtigen Aspekt der Entwicklung genauer zu betrachten. Gemeint ist die Sonderausstellung des Lutherhauses in Eisenach, in deren Zentrum das von Grundmann geleitete „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ steht.

Als das „Entjudungsinstitut“ 1938 gegründet wurde, war die Aufbruchsstimmung der Anfangszeit längst geschwunden. Die „nationale Revolution“ hatte kein „Deutsches Ostern“ begleitet und die Menschen wieder in den Schoß der Kirche zurückgeführt. Aber auch jede Hoffnung, eine Reichskirche unter Kontrolle der DC zu bilden und damit als entscheidende religiöse Einrichtung der politischen Führung gegenüberzustehen, war erledigt. Der Protestantismus blieb zerfallen in seine Hauptgruppen – Lutheraner, Reformierte, Unierte – und Landeskirchen. Hinzu kam, daß von denen die meisten unter dem Einfluß der Moderaten standen, die sich zwischen zwei Flügeln eingekeilt sahen: der Bekennenden Kirche, die erbittert die Freiheit der Kirche verteidigte, und der DC, die ihrerseits in mehrere Fraktionen zersplittert war.

Die Vorstellung, daß die Deutschen Christen von der Spitze des Regimes als eine Art Transmissionsriemen für die eigenen Absichten betrachtet wurden, widerlegt man in der Eisenacher Ausstellung auf überzeugende Weise. Tatsächlich befanden sich die Deutschen Christen eher in der Defensive, mußten nicht nur mit der Verärgerung des „Führers“ wegen der Unbotmäßkeit der Evangelischen fertig werden, sondern auch mit der wachsenden Kirchenfeindlichkeit, die vor allem auf das Konto von Bormann, Goebbels und Himmler ging.

Beseitigung biblischer Überlieferungen

Angesichts dessen sollte das „Entjudungsinstitut“ einen doppelten Zweck erfüllen: einerseits nachweisen, daß Christentum und Nationalsozialismus keine Gegensätze seien, andererseits die Behauptung widerlegen, daß man das Christentum als „artfremd“, ein getarntes Judentum, betrachten müsse. Dazu übernahm Grundmann mit seinen Mitarbeitern nicht nur den offiziellen Antisemitismus, sondern ging auch immer konsequenter an die Beseitigung aller aus dem Alten Testament stammenden Überlieferung in bezug auf Kanon, Lehre und Liturgie. Gleichzeitig füllte er die so entstandenen Leerstellen und trieb jene „Germanisierung des Christentums“ voran, die von Verfechtern einer „deutsch-christlichen“ oder „christdeutschen“ Weltanschauung seit dem 19. Jahrhundert gefordert worden war.

Das Verfahren, mit dem man sich diesem Aspekt zuwendet, macht allerdings auch eine Schwäche der Eisenacher Ausstellung deutlich. Denn so sorgfältig die Entwicklung der DC und des Instituts aufbereitet wurde, so interessant viele der Exponate sind: Es gibt doch eine Art didaktischen Überschuß, der der Klärung der Sache eher schadet als nutzt.

Gemeint ist damit das Bemühen, möglichst stringent die Schuld der Kirche an einer Entwicklung nachzuweisen, die von den judenfeindlichen Dekreten des Mittelalters über Luthers Ausfälle bis nach Auschwitz führte. Ergänzt wird das durch Hinweise auf jene Namen, die bei solcher Gelegenheit niemals fehlen dürfen, also Richard Wagner, Paul de Lagarde und Houston Stewart Chamberlain.

Anstatt zum wiederholten Male solch ausgetretenen Pfaden zu folgen, wäre es fruchtbarer gewesen, der Frage nachzugehen, in welcher Weise sich die religiöse Mentalität nach der Aufklärung verändert hat, und was es bedeutete, daß in Deutschland von großen Denkern versucht wurde, am Christentum festzuhalten und gleichzeitig dessen „Gestaltwandel“ – eine Formulierung Hirschs – ernstzunehmen und entsprechende Folgerungen zu ziehen. Ein Ansatz, von dem man kaum behaupten kann, daß er notwendig in fataler Weise enden mußte.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie ist das Lutherhaus Eisenach derzeit geschlossen. Nach Wiedereröffnung wird die Ausstellung „Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche ‘Entjudungsinstitut’1939–1945“ noch bis zum 23. Dezember 2021 gezeigt. Der Katalog kostet 10 Euro. 

 www.lutherhaus-eisenach.com