© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Ein Botschafter muß gehen
Christian Thielemanns Vertrag in Dresden läuft aus
Paul Leonhard

Dem Elbtal hat es vorerst die Sprache verschlagen. Christian Thielemann, ein Star der Musikszene, seit 2012 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle und damit weltweiter Botschafter Dresdens, soll gehen. Nicht aus eigenem künstlerischem Antrieb, sondern aufgrund einer politischen Weichenstellung. Er paßt nicht in die ministeriellen Pläne der „Perspektive Semper 2030“.

Der Orchestervorstand, das Bildungsbürgertum der Stadt und die Musikfreunde deutschlandweit sind schockiert, auf welche Art und Weise sich Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU), auch wenn der Freistaat als Arbeitgeber die Personalhoheit hat, einmischt. Denn neben Thielemann als „Inbegriff des konservativen deutschen Dirigenten“ (Musikkritiker Uwe Friedrich), dessen Vertrag nicht – wie eigentlich erwartet – verlängert wird, ist da auch Intendant Peter Theiler. Der Vertrag mit dem 64jährigen wird zwar verlängert, aber lediglich um ein Jahr und endet damit wie der Thielemanns Ende der Spielzeit 2023/24.

Das konservative Bürgertum im Visier

Vor allem aber läßt Klepschs Ankündigung, daß mit diesen Personalien eine Zukunftsentscheidung getroffen wurde, Böses ahnen. Offensichtlich soll jetzt umgesetzt werden, was zwei Diktaturen nicht geschafft haben: Dem konservativen Bürgertum der Stadt soll sein Nährboden entzogen werden. Es ist nicht der erste Versuch. Die bereits ausgedünnte Theaterlandschaft soll beispielsweise aktuell in der Oberlausitz noch weiter ausgedünnt werden, indem es dem Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau/Görlitz – einem Vierspartentheater – an den Kragen geht. Die ebenfalls geplante und angegangene Umgestaltung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mußte nach massiven Protesten der Dresdner und der von ihnen mobilisierten bundesweiten Öffentlichkeit gestoppt werden.

Wenn Klepsch betont, daß die Semperoper, über die gewachsenen Stammgäste hinaus, auf „neue Zielgruppen, die andere oder noch gar keine Zugänge zu Opern, Konzerten und Ballettaufführungen haben“, Anziehungskraft gewinnen soll, fragt sich der Musikfreund schon bang, wen die Ministerin da im Blick hat. Denn die Semper-oper hat einen Ruf als Opernhaus von internationalem Renommee zu verlieren. Das Haus ist fast immer ausverkauft, weil es ist, wie es ist. Unklar auch, was die Ministerin mit ihrer Aussage meint, das „Verhältnis zwischen Opernhausbesuch und Nutzung digitaler Angebote“ solle neu betrachtet werden. Schämt sie sich für Dresden?