© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

„Deutscher Kulturimperialismus“
Vielfaltsthemen: Die Deutsche Welle berichtet nun auch auf ungarisch
Zita Tipold

Rund ein Jahr vor den ungarischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2022 geht die Deutsche Welle (DW) mit einem ungarischsprachigen Programm an den Start. Der Grund dafür ist vermeintlich ganz und gar selbstlos: Der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik möchte den Bewohnern des ostmitteleuropäischen Landes Themen wie Minderheitenrechte und Gender-Theorien nicht vorenthalten. Diese würden dort kaum diskutiert, schilderte DW-Intendant Peter Limbourg Ende Februar im RBB-Medienpodcast. 

Die Zeit sei reif für „DW Magyar“. Mit der Programmerweiterung reagierten sie „auf die zunehmende Einschränkung der Medienfreiheit“ und die Risiken, denen Journalisten weltweit ausgesetzt seien. Besonders in Mittel- und Osteuropa würden regierungskritische Medienvertreter bei ihrer Arbeit behindert. „Wir haben noch freie Presseorgane in Ungarn, aber wir haben keine Pressefreiheit mehr“, sagte auch der ungarische Journalist Attila Babos. Da will der öffentlich-rechtliche Auslandsrundfunk nun als Retter in der Not einspringen und sich des Landes annehmen.

Das ungarischsprachige Angebot ist keine Premiere für die DW, sie hatte bereits in den sechziger und siebziger Jahren sowie nach den Umbrüchen von 1989/90 entsprechend berichtet. Ende April wurde ungarisch nun als 31. Sendesprache wieder aufgenommen. Verbreitung sollen die Reportagen und Web-Videoformate für die „Magyaren“ über die DW-Partnersender und -Nachrichtenportale ATV, 24.hu, HVG, Telex, 444.hu und Media1 sowie über den eigens eingerichteten Youtube-Kanal finden.

Weltoffen mit jungen Menschen sprechen

Dort wurden bereits über 20 Videos hochgeladen, die sich unter anderem um Corona, Migranten auf der Balkanroute, sexuelle Minderheiten und Schuldkult drehen. Eines von ihnen trägt etwa den Titel „Die Nazi-Vergangenheit meiner Familie“. Ein Schwarzweiß-Bild Adolf Hitlers, überlegt mit einem Schriftzug, wirft die Frage auf: „Was haben deine Großeltern während der Zeit des Nationalsozialismus getan?“ Die ungarisch untertitelten Antworten geben mehrere Deutsche, die von der NS-Vergangenheit ihrer Familie erzählen.

Ein weiteres Video stellt die beiden lesbischen Pastorinnen Ellen und Stefanie Radtke vor, die bereits beim NDR zu Gast waren und sich mehr „Vielfalt“ in der Evangelischen Kirche wünschen. Anders als in der Bundesrepublik erntet die DW dafür vom ungarischen Publikum aber keinen Beifall. „Das ist krank. Deutschland, wo ist dein Stolz hin, willst du noch tiefer sinken?“ oder „Deutschland ist eine einzige Irrenanstalt geworden – schade drum“, bedauern Zuschauern unter dem Video. „Hey Deutsche Welle, wie fühlt es sich an, Journalismus zu studieren und dann Propaganda zu machen?“, heißt es in einem anderen Kommentar. 

Die DW möchte mit ihren Inhalten besonders junge Ungarn im Alter zwischen 20 und 35 Jahren erreichen. „Wir bieten unserem Publikum lebensnahe Videoreportagen aus Ungarn, Deutschland und anderen europäischen Ländern, in denen wir Stories zu aktuellen politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fragen in den Mittelpunkt stellen“, schilderte DW-Programmdirektorin Gerda Meuer beim Start des ungarischen Programms Ende April. Auch die Programmchefin für den europäischen Raum, Adelheid Feilcke, bekräftigte, „unverkrampft und weltoffen mit jungen Menschen ins Gespräch kommen und damit einen kritischen Diskurs über gemeinsame Werte und Herausforderungen in Europa befördern“ zu wollen.

Ungarns Regierung ist über den ungebetenen Dienst an seiner Bevölkerung verärgert. Regierungssprecher Zoltán Kovács (Fidesz) sieht hinter der Programmerweiterung um sein Land einen Vorstoß „deutschen Kulturimperialismusses“. Die Aktion sei „ein weiteres trauriges Beispiel für die Verkörperung der Meinungsdiktatur durch die linksliberalen deutschen Medien“. Worüber in Ungarn berichtet würde, entscheide der freie Markt. Die Mehrheit der Bevölkerung habe aber schlicht kein Interesse an den Themen, die die DW aufgreife. 

Auch Justizministerin Judit Varga (Fidesz) hatte sich immer wieder gegen den Vorwurf gewehrt, in ihrem Land sei die Pressefreiheit nicht gewährleistet. Ihrer Ansicht gebe es unter den ungarischen Medien sogar einen größeren Meinungspluralismus als beim Angebot westeuropäischer Staaten.