© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Fragmentierte Erinnerungen im transnationalen Wien
Kaum gestörtes Zugehörigkeitsgefühl
(dg)

Bei Feldstudien für ihre am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften angefertigte Doktorarbeit über „Transnationale Erinnerungen und postimperiale Nostalgie in Wiens städtischem Erbe“ bekam Annika Kirbis Schockierendes zu hören. Politisch hyperkorrekt sozialisiert, wollte sie beweisen, daß die vielen versteinerten Erinnerungen, die beide osmanische Belagerungen Wiens von 1529 und 1683 im Stadtbild hinterlassen haben, „Zugehörigkeitsgefühle“ türkischer Migranten nicht aufkommen ließen. Doch nur „manche“ der Befragten stießen Denkmäler mit „säbelschwingenden Reitern in Pluderhosen vor den Kopf“. Andere betonten, daß die Denkmäler bei vielen Türken äußerst beliebt seien, weil sie stolz darauf seien, daß ihre Ahnen „bis vor Wien gekommen sind“. Wiederum andere, Kurden zumeist, hätten sie beglückwünscht: „Toll, daß ihr die rausgeschmissen habt.“ Je länger Kirbis recherchierte, desto fragmentierter erwiesen sich die „transnationalen Erinnerungen“, die sich nicht in ihr „Diskriminierungs“-Raster fügten (Max Planck Forschung, 1/2021). Bitter war für Kirbis zudem die Erfahrung, daß der Holocaust bei türkischen Schülern keinen Platz ihn deren Erinnerungsraum habe. Dabei findet die Doktorandin, daß das Gedenken an diesen Völkermord „in einer Einwanderungsgesellschaft lebendig bleiben“ müsse. 


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