© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Sprung in den Tod
„Unternehmen Merkur“: Vor achtzig Jahren eroberten deutsche Fallschirmjäger unter schweren Verlusten die griechische Insel Kreta
Thomas Schäfer

In Hitlers Gesamtstrategie spielten die rumänischen Ölfelder und Raffinerien von Ploiești eine ganz entscheidende Rolle. Deshalb trachtete er auch danach, jegliche Bedrohung derselben auszuschalten und sie außerhalb der Reichweite britischer Bomber zu halten. Hieraus resultierten nicht zuletzt die Entscheidung zur deutschen Luftlandung auf Kreta und die diesbezügliche Weisung „Nr. 28 für die Kriegführung (Unternehmen Merkur)“ vom 25. April 1941. Wenig später standen dann auch bereits über 33.000 britische, australische und neuseeländische Soldaten auf der Insel am Südrand der Ägäis. Viele davon waren zuvor auf das griechische Festland entsandt worden, hatten aber schnell den Rückzug antreten müssen, als die Wehrmacht in Hellas siegte. Nun bestand die Aufgabe der „Creforce“ unter Major-General Bernard Cyril Freyberg darin, Kreta zu halten und von den drei dortigen Flugplätzen Maleme, Rethymno und Iraklio aus sowohl Ploiești als auch die Nachschubgeleitzüge für das Deutsche Afrika-Korps zu attackieren.

Kampfkraft der Verteidiger wurde falsch eingeschätzt

Das „Unternehmen Merkur“ begann am 20. Mai 1941. Für die Landung unter dem Oberbefehl von General der Flieger Kurt Student standen rund 15.000 Fallschirmjäger des XI. Fliegerkorps der Luftflotte 4 bereit. Dazu kamen etwa 14.000 Gebirgsjäger der 5. und 6. Gebirgs-Division, welche auf die Insel gebracht werden sollten, sobald die Flugplätze in deutscher Hand waren. Die Absicherung der Operation erfolgte durch das VIII. Fliegerkorps, das über knapp 700 Jäger und Bomber verfügte. Zudem setzte die Luftwaffe mehr als 500 Transportmaschinen vom Typ Junkers Ju 52 und 70 Lastensegler ein.

Der Angriff erfolgte in drei Wellen und richtete sich gegen die Stützpunkte der Royal Air Force sowie die Inselhauptstadt Chania, wo sowohl die griechische Exilregierung als auch der geflüchtete König Georgios II. saßen. Dabei stießen die Luftlandetruppen auf starkes Sperrfeuer von seiten der Commonwealth-Verbände, denen einige tausend griechische Soldaten zur Seite standen. Insgesamt lag die Zahl der Inselverteidiger etwa doppelt so hoch wie erwartet. 

Doch das war nicht das einzige Problem der Angreifer: Freybergs Männer wußten auch genau, wo sie die deutschen Fallschirmjäger abfangen konnten, weil der britische Geheimdienst zu diesem Zeitpunkt bereits das Enigma-Verschlüsselungssystem des Feindes geknackt hatte. Darüber hinaus irrte das Oberkommando der Wehrmacht, was die Haltung der griechischen Zivilbevölkerung betraf: Diese war keinesfalls deutschfreundlich oder antimonarchistisch gesinnt und beteiligte sich am Kampf um Kreta. Dabei kam es zu zahlreichen Übergriffen der Freischärler gegen die Fallschirm- und Gebirgsjäger: Morde an Verwundeten und Gefangenen sowie die Verstümmelung von Toten oder sogar noch am Leben Befindlichen waren in manchen Regionen Kretas an der Tagesordnung. Diese eklatanten Verletzungen des Kriegsrechts führten dann wiederum zu Repressalien von deutscher Seite, was man in Griechenland heute gerne ignoriert, wenn das Schicksal von Dörfern wie Kandanos oder Kondomari beklagt und Schadensersatz gefordert wird.     

Den Luftlandeverbänden der Wehrmacht gelang es trotz aller Gegenwehr, sich auf Kreta festzusetzen und die Verteidiger zum Rückzug zu zwingen. Deren Evakuierung erfolgte zwischen dem 28. Mai und 1. Juni 1941 durch die Royal Navy. Diese mußte dabei höchst schmerzhafte Verluste hinnehmen: Die Ju 87 und Ju 88 des VIII. Fliegerkorps versenkten die Kreuzer „Gloucester“, „Fiji“ und „Calcutta“ sowie die Zerstörer „Greyhound“, „Kelly“, „Kashmir“, „Hereward“, „Imperial“ und „Juno“, wobei 2.011 britische Seeleute starben. Insgesamt hatte das Empire 3.579 Tote und Vermißte zu verzeichnen; gleichzeitig fielen auch noch über 500 reguläre griechische Soldaten. Außerdem nahm die Wehrmacht 17.500 britische, neuseeländische, australische und griechische Militärangehörige gefangen.  

Nimbus für die Fallschirmjägertruppe

Mit der Luftlandung auf Kreta konnte die Südostflanke des Herrschaftsbereiches der Achsenmächte unmittelbar vor Beginn des Rußlandfeldzuges gesichert werden. Die Mittelmeerinsel stand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter deutscher Besatzung: Manche Wehrmachtseinheiten hier gingen erst am 12. Mai 1945 in Gefangenschaft. Andererseits blieb der Erfolg von 1941 aber nur ein halber, da die ebenfalls geplante Landung auf Malta niemals stattfand, womit zumindest die Bedrohung der Nachschublinien für Rommels Armee in Nordafrika fortbestand. Grund für die Zurückhaltung waren die hohen Eigenverluste beim „Unternehmen Merkur“, die Hitler dazu bewogen, keine größeren Luftlandungen mehr durchführen zu lassen: Unter den nach Kreta geschickten Fallschirm- und Gebirgsjägern gab es um die 3.700 Tote und Vermißte, dazu kamen etwa 2.000 Verwundete, darunter der deutsche Boxweltmeister Max Schmeling, der sich beim Sprung ein Bein brach. Darüber hinaus verlor die Luftwaffe über 280 Maschinen. 

Die Alliierten waren freilich dennoch von der Schlagkraft der Luftlandetruppen beeindruckt. Deshalb bauten Briten und später auch die US-Amerikaner ihre eigenen Fallschirmjägerverbände nachfolgend erheblich aus, was sich später bei vielen kriegsentscheidenden Operationen, darunter auch der alliierten Invasion in der Normandie, militärstrategisch auszahlen sollte.