© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/21 / 21. Mai 2021

Klein, aber fein
Außerhalb von Deutschland läuft die Entwicklung von modernen Kernreaktoren ungehindert weiter
Tobias Albert

Als Umweltminister schaffte es Sigmar Gabriel nur, 2007 das Glühlampenverbot durchzusetzen. Den Atomausstieg bis Ende 2022 ermöglichte erst eine Kehrtwende des folgenden schwarz-gelben Merkel-Kabinetts – deswegen kam bei dem inzwischen zum SPD-Chef aufgestiegenen damaligen Bundestagsabgeordneten am 30. Juni 2011 Wehmut auf: „Es ist wirklich ein historischer Tag, die weit überwiegende Mehrheit des Hohen Hauses entscheidet sich für den Atomausstieg.“

Die grüne Fraktionschefin Renate Künast gab damals schon die Richtung vor: „Rückwärts kann es nicht mehr gehen, es geht nur noch nach vorne, ins Zeitalter der Erneuerbaren.“ Das ist längst Konsens von der Linken bis zur Union. Nur die AfD bekennt sich zur Kernkraft. Der Chef der Freien Wähler, Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, will immerhin zukünftige Atomtechnologien nicht völlig ausschließen. Martin Neumann, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, verspricht, die Kernenergieforschung in Deutschland zu erhalten.

Umfangreiche Risikoanalysen

Außerhalb Deutschlands sind AKWs allerdings weiter salonfähig. Selbst von Grünen-Politikern in einigen europäischen Ländern wird Kernenergie als Chance gesehen, die Stromversorgung zu sichern, ohne den CO2-Ausstoß zu erhöhen. Im Innovationswettlauf hat sich mit den Small Modular Reactors (SMR) sogar eine neue Gruppe der Kernreaktoren entwickelt. Diese hat das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) nun in einem Gutachten untersuchen lassen, denn „als Maßnahme gegen den Klimawandel erfährt das Konzept der SMR seit einiger Zeit wieder größere Aufmerksamkeit“.

Dem geht das Gutachten, das von Wissenschaftlern des Darmstädter Öko-Instituts, der TU Berlin und des Physikerbüros Bremen erstellt wurde, auf den Grund, um nach einer Forschungsstandbestimmung die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit dieser Technik auszuloten. Übersetzt steht SMR für kleine, modulare Reaktoren, die also weniger Leistung als herkömmliche Kraftwerke erzeugen, aber durch ihre modulare Bauweise einfacher in der Handhabung sind.

Hinter diesen Gemeinsamkeiten verbergen sich allerdings grundverschiedene Prozesse zur Energiegewinnung. Manche SMRs sind als wassergekühlte Reaktoren schlichtweg Mini-AKW, andere Konzepte planen Hochtemperaturreaktoren mit Gas als Kühlmittel, schnelle Reaktoren mit Helium als Kühlmittel oder Variationen der Salzschmelzreaktoren.

Letztere benötigen nicht nur eine neue Produktions- und Infrastruktur, sondern auch umfangreiche Risikoanalysen, da sich das Wissen aus jahrzehntelanger Verwendung der wassergekühlten Reaktoren nicht auf sie übertragen läßt. Ein Sicherheitsvorteil besteht jedoch bei SMRs mit passiver Wärmeabfuhr, bei denen im Gegensatz zu heutigen Kraftwerken die Hitze der Brennelemente ohne aktives technisches Eingreifen abgeführt wird. Technisches oder menschliches Versagen unterbricht somit die Kühlung nicht, und der Reaktor kann nicht überhitzen.

Die SMR-Leistung beträgt typischerweise weniger als 300 Megawatt (MW) und liegt damit deutlich unter den 1.480 MW des AKWs Brokdorf, das zum Jahresende abgeschaltet werden muß. Zum Vergleich: Ein modernes Windrad erzielt bei einer steifen Brise eine Höchstleistung von drei bis zehn MW. Auch viele SMR-Konzepte planen mit einer Leistung im einstelligen MW-Bereich – allerdings dauerhaft und wetterunabhängig. Solche Reaktoren stellten, wie die BASE-Studie erwähnt, für kleine Entwicklungsländer eine Alternative dar. So plane Jordanien durch den Kauf von SMR-Anlagen seine Energieversorgung unabhängiger zu machen.

Hohe Investitionen in die Energieinfrastruktur

Die Modularität der SMRs soll dabei ihren Größennachteil ausgleichen. Doch bisherige Pilotprojekte zeigen, daß die Bauzeiten die geplanten Zeitrahmen teils deutlich übertreffen. So arbeitet die argentinische Marine seit den 1970er Jahren am SMR-Projekt CAREM, doch der Bau des zivilen Prototypen wurde erst 2014 begonnen. Und in Rußland, einem in der Kerntechnologie führenden Land, benötigte der Bau des AKW-Schiffs „Akademik Lomonossow“, das 2020 im Nordpolarmeer Betrieb ging, 13 Jahre. In westlichen Staaten dürfte allein die Genehmigung der neuartigen, nicht wassergekühlten SMRs eine beträchtliche Zeitspanne beanspruchen.

Hinzu kommt das Thema „dual-use“: Technologien und radioaktive Materialien können – nicht nur im Iran – auch für Kernwaffen verwendet werden. Hierbei erweisen sich die Mikroreaktoren, mit denen Kanada seine entlegensten Regionen und die Großmächte USA, China und Rußland ihre Militärbasen mit Energie versorgen wollen, als besonders kontrovers. Einerseits erschwert ihr geplanter Einsatz in der menschenleeren Einöde jenseits aller Hauptverkehrsachsen die Überwachung, andererseits werden sie als sogenannte geschlossene Kreisläufe konzipiert. Die abgebrannten Brennstoffe werden wiederaufbereitet, so daß der Reaktor kein neues Brennmaterial benötigt.

Anders als Dieselgeneratoren müßten sie also nicht mit neuem Kraftstoff aufgefüllt werden, der mühsam vor Ort transportiert werden muß. Daher können Reaktoren mit geschlossenen Kreisläufen noch vor Auslieferung versiegelt werden. Die Kontrollbehörden könnten anhand des Siegelbruchs feststellen, ob waffenfähiges Spaltmaterial entnommen wurde. Mit Blick auf Saudi-Arabien, das mit Südkorea bei SMRs kooperiert, wird aber befürchtet, daß der Wissenstransfer in puncto Kernkraft zur Einstiegsdroge in die Kernwaffenforschung wird.

Wegen der uneindeutigen Sicherheitseinschätzung und der zu erwartenden hohen Anschubfinanzierungen kommt die BASE-Studie zu keinem sonderlich optimistischen Ergebnis. Die Sicherheitsbedenken sind zweifellos ernstzunehmen. Daß bis zur Serienreife dieser Technologie viel Geld nötig ist, kritisieren die Autoren zwar zu Recht, doch ist dies bei Investitionen in die Energieinfrastruktur nicht unüblich.

2020 flossen – dank Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – in Deutschland allein 30,9 Milliarden Euro an die Betreiber von Wind-, Solar- und Biomasseanlagen. Das waren zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Die militärischen und zivilen Nuklearmächte besitzen die notwendige Forschungsinfrastruktur ohnehin, sie dürften an der SMR-Forschung festhalten. Sollte ihnen der Durchbruch zur Marktreife gelingen, wird Deutschland wieder einmal dem technischen Fortschritt hinterherhinken.

„Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung einer Anwendung von SMR-Konzepten (Small Modular Reactors)“: www.base.bund.de





AKW-Investitionen in Nordamerika

Wie Donald Trump setzt auch US-Präsident Joe Biden auf Kernenergie – allerdings mit einer „grünen“ Begründung: Sein neuer „Standard für Energieeffizienz und sauberen Strom“ (EECES) werde „weiterhin die CO2-freie Energie aus vorhandenen Quellen wie Atomkraft“ nutzen, um die USA bis 2035 auf „eine hundertprozentig CO2-freie Stromversorgung“ umzustellen. Mit der US-Exportinitiative „Foundational Infrastructure for Responsible Use of SMR Technology“ (FIRST) sollen zudem Kernenergieprogramme in „Partnerländern“ unterstützt werden: Kleine AKWs (SMR) könnten genutzt werden, „um Kohle zu ersetzen, energieintensive Industrien mit Strom zu versorgen und um Wasserstoff zu produzieren, um die Dekarbonisierung des Verkehrs und anderer Sektoren zu unterstützen“. Der vom Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik entwickelte Dual-Fluid-Reaktor (DFR; JF 47/20) wird seit Februar von der in Vancouver (Kanada) registrierten Firma Dual Fluid Energy Inc. weiterentwickelt. (fis)

dual-fluid.com

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