© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Kurs Kenia
Sachsen-Anhalt: Landtagswahl als Stimmungsbarometer / Ministerpräsident will die in der eigenen CDU ungeliebte Koalition fortsetzen
Jörg Kürschner

Wer erinnert sich noch an die bunte Reihe der Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, die das 1990 gegründete Bundesland seitdem regiert haben: Gerd Gies, Werner Münch, Christoph Bergner (alle CDU), Reinhard Höppner (SPD), Wolfgang Böhmer und seit 2011 Reiner Haseloff (beide CDU) als dienstältester Regierungschef. Es hat gedauert, bis das Bindestrich-Land mit seinen stolzen Nachbarn, den Freistaaten Thüringen und Sachsen, das Etikett der „roten Laterne“ wegen schlechter Wirtschaftsbilanz abstreifen und sein bundesweites Image aufpolieren konnte.

Darauf verweist Haseloff derzeit zwischen Arendsee und Zeitz, denn bei der Landtagswahl am 6. Juni tritt er erneut als Spitzenkandidat seiner Partei an. Zum dritten Mal. Und in diesem Wahljahr gar mit der Autorität des Bundesratspräsidenten, des protokollarisch zweithöchsten Staatsamtes. Eine Karriere, die der 67jährige jetzt eigentlich beenden wollte. Doch im Einvernehmen mit seiner Frau entschied er sich um. „Es geht um eine stabile Regierung der Mitte für unser Land und damit um eine unmißverständliche Abgrenzung zur AfD. Ich habe zugesagt, weil wir viel erreicht haben und ich mich nun, wo es schwieriger wird, nicht einfach aus dem Staub machen wollte.“ 

Haseloff kennt seine bodenständige Fraktion, weiß um die Sympathien für die AfD. Vor fünf Jahren stimmte fast jeder vierte Wähler für die Parlaments-

neulinge unter ihrem Spitzenkandidaten André Poggenburg. Ein Erdbeben in der Landeshauptstadt Magdeburg, dem eine Kenia-Koalition folgte, ein bis dahin unbekanntes Koalitionsmodell aus CDU, SPD und Grünen. In der Landes-CDU ist Haseloff das Bollwerk gegen jede Beteiligung der AfD, die in der Fraktion oft mehr Zuspruch erhält als der ungeliebte grüne Koalitionspartner. So stimmten vor vier Jahren große Teile der CDU gegen ihre Koalitionspartner und mit der AfD für eine Enquetekommission gegen Linksextremismus. Da war der Moderator Haseloff gefragt, wie „es seine CDU mit der Rechtspartei hält“. Hatten doch die beiden Fraktionsvizes Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer eine Denkschrift mit dem Titel das „Soziale mit dem Nationalen verbinden“ geschrieben, was als Annäherung an die AfD verstanden werden sollte. Die Aufregung hat sich wieder gelegt, die beiden Rechtsausleger sind aber aussichtsreich auf den Plätzen drei und vier der Landesliste plaziert, haben also gute Chancen auf eine Rückkehr ins Parlament. 

Haseloff will eine „stabile Regierung“

Bei seinem einstigen Kronprinz Holger Stahlknecht gerieten Haseloffs Moderationskünste bald an Grenzen. Ende 2016 hatte sich der selbstbewußte Innenminister auf eine Diskussion mit dem rechten Verleger Götz Kubitschek eingelassen. Im „Politischen Salon“ des Magdeburger Theaters sollte es um den Rechtsruck in Europa gehen. Die Menschen im Osten seien 1989 auf die Straßen gegangen, um Freiheit zu erkämpfen, es sei falsch, eine Absage der Veranstaltung zu fordern, „weil wir dann die Freiheit in Frage stellen“, begründete der ehemalige Staatsanwalt unerschrocken seine Bereitschaft zu diskutieren. 

Haseloff intervenierte erfolgreich. Ein letztes Mal. Vier Jahre später zerbrach die Allianz Haseloff-Stahlknecht. Im Konflikt über eine Erhöhung der Rundfunkgebühren brachte der Ressortchef per Interview einen Koalitionsbruch und damit eine CDU-Minderheitsregierung für den Rest der Wahlperiode ins Gespräch. Innerhalb weniger Stunden entließ der Ministerpräsident Stahlknecht wegen des „schwer gestörten Vertrauensverhältnisses“. Eine Minderheitsregierung wäre wohl auf eine Duldung der AfD angewiesen gewesen. 

Damit hatten das Kabinett und auch die CDU einen souveränen Bildungsbürger verloren, denn Stahlknecht trat auch als Landeschef zurück. Für Nachfolger Sven Schulze wäre eine Zusammenarbeit mit der AfD ein „Tabubruch“. Im Frühjahr hatte der Landesparteitag beschlossen, daß Koalitionen von der Parteibasis bestätigt werden müssen. Die könnte Gefallen an der FDP finden, der Umfragen nach zehnjähriger Zwangspause gute Chancen auf eine Rückkehr ins Landesparlament verheißen. Liberale statt Grünen auf der Regierungsbank? Die letzte Wahl vor der Abstimmung im Bund am 26. September verspricht Spannung. 

Haseloff und Schulze als Bollwerk gegen die AfD? Oliver Kirchner, AfD-Spitzenkandidat, sieht die Diskussion in der CDU gelassen. Der Fraktionschef im Landtag stellt sich auf fünf weitere Jahre in der Opposition ein. „Das steht uns gut.“ In den Umfragen liefern sich die beiden Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen 24 bis 26 Prozent. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert, schätzt den Block der AfD-Wähler als sehr stabil ein. Daß es der CDU gelingt, Wähler der AfD zurückzuholen, glaubt er nicht. So stehen sich bei der Landtagswahl zwei Blöcke gegenüber; die Koalitionsparteien und die oppositionelle Linke sowie die AfD. „Ich stehe für eine stabile Regierung“, lautet Haseloffs Botschaft an die rund 1,8 Millionen Wähler. 

Darunter versteht er eine Fortsetzung der Kenia-Koalition, trotz dreier Ministerrücktritte und vieler Krisen. Milliardeninvestitionen von Unternehmen im Land, neugeschaffene Arbeitsplätze und die „beste Lohnentwicklung“ aller 16 Bundesländer, bilanziert der Regierungschef stolz und spricht gar von einer „Spitzenleistung“. 

„Nehmt den Wessis das Kommando“

Eine verbesserte Kinderbetreuung mit einer Entlastung für die Eltern und ein verstärktes Engagement für Demokratie und Weltoffenheit nach dem antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle im Herbst 2019 nennt SPD-Landeschefin Katja Pähle als Errungenschaften. Die Straßenausbaubeiträge habe man abgeschafft und ein Azubi-Ticket für die Mobilität junger Menschen eingeführt. Das Geld für Bau und Planung von Radwegen an Landesstraßen sei versechsfacht, junge Landwirte seien beim Berufseinstieg gefördert worden, heben die Grünen hervor. 

„Bestenfalls mangelhaft“, urteilt hingegen AfD-Frontmann Kirchner über die Koalitionsbilanz. Es sei zu wenig für Familien getan und zu viel für die Integration Zugewanderter ausgegeben worden. Und die andere Oppositionspartei, die Linke, beklagt die ausgebliebene Angleichung der Ost- an die Westrenten. Ihre Spitzenkandidatin überrascht durch Namen und konservativen Habitus. Eva von Angern, eine Rechtsanwältin, entstammt einem Magdeburger Uradelsgeschlecht und sorgte bei der Heirat dafür, daß sie ihren Nachnamen behielt, auch die Söhne tragen ihn. 

Zur linken Bürgerlichkeit paßt weniger das Wahlplakat mit einem großen Hund links und einem an der Leine zerrenden Kind rechts. Bildunterschrift: „Nehmt den Wessis das Kommando.“ Aufgehängt werden soll das Plakat angeblich nicht.