© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Die Einflüsterer
Lobbyarbeit: Migrantenorganisationen und linke Vereine beraten die Bundesregierung bei der Verteilung von über einer Milliarde Euro im „Kampf gegen Rechts“
Hermann Rössler / Björn Harms

Es sind knapp 102 Seiten, an denen 1,15 Milliarden Euro an Fördermitteln hängen. Kürzlich hat der „Kabinettsausschuß zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ seinen lange erwarteten Abschlußbericht vorgestellt. Der Ausschuß war im März 2020 von der Bundesregierung initiiert worden, nur wenige Wochen nach den Morden in Hanau, dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle und dem Mordam Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Nach der nun erfolgten vierten Sitzung wird die Arbeit vorerst eingestellt, jetzt kommt es auf die praktische Umsetzung in den Ministerien an. Die Fördermittel werden verteilt. Über die Problematik der bislang unbekannten Nutznießer hatte die JUNGE FREIHEIT bereits mehrfach berichtet (JF 5/21). Der Großteil der Gelder dürfte an alte Bekannte fallen, die sich bereits seit Jahren dem „Kampf gegen Rechts“ verschrieben haben, wenngleich im Zuge der Antirassismusdebatten der vergangenen Jahre nun auch neue Akteure ihren Stück vom Kuchen einfordern.

Interessant ist vor allem, durch wen sich die Bundesregierung beraten ließ. Denn erst nach intensiven Vorgesprächen mit Lobbygruppen wurde der 89 Punkte umfassende Maßnahmenkatalog erstellt, der die Verteilung der Fördergelder regelt. Unterschiedlichste Vereine, Organisationen und Wissenschaftler durften ihre Expertise zum besten geben und nahmen so direkt Einfluß auf den Prozeß und damit auf die Verteilung von über einer Milliarde Euro. 

Wer sind also diese Leute? Im Abschlußbericht ist von „80 Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft und Migrantenorganisationen“ die Rede. Diese hätten zunächst schriftliche Stellungnahmen eingebracht, am 20. August 2020 seien zusätzlich 48 eingeladene Organisationen in Berlin zu einer Voranhörung zusammengekommen, „um dort ihre Positionen darzulegen“. Doch im kompletten Bericht wird verschwiegen, wer die Einflüsterer waren. Der JF liegt nun erstmals exklusiv eine Liste mit allen Organisationen vor, die die Bundesregierung beraten haben.

Ein Schwergewicht bildeten dabei die Dachverbände der Migrantenorganisationen, alle mit eigenem Vertreter vor Ort. Mittlerweile gibt es fünf von ihnen, die aus unterschiedlichen Ministerien gefördert werden. Sie verteilen sich über ganz Deutschland, wobei der Großteil in Berlin ansässig ist oder zumindest eine Zweigstelle hat. Die Dachverbände vertreten wiederum Hunderte von lokalen Migrantenorganisationen, die ebenfalls staatliche Gelder erhalten. Meist liegen ihre Fördersummen sogar noch über denen der Dachverbände, da diese lediglich als zentraler Anlaufpunkt dienen, die alltägliche Arbeit aber in den Projekten vor Ort geschieht. Mitunter sind einzelne Migrantenorganisationen auch in mehreren Dachverbänden aktiv. Das Netzwerk aus dem Einwanderermilieu wird zunehmend unübersichtlicher, Fördermittel aber wollen alle haben.

Doch warum gibt es eigentlich mehrere Dachverbände und nicht nur einen? Mittlerweile konkurrieren die Lobbyverbände gegenseitig um Einfluß, unterscheiden sich in ihrem Herkunftsmilieu. Importierte ethnische Konflikte werden auch hierzulande ausgetragen. Der älteste Dachverband in Deutschland, die 1985 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (Bagiv), hat einen kurdischen Schwerpunkt. Präsident Ali Ertan Toprak, langjähriges Grünen- und seit 2014 CDU-Mitglied, ist zugleich Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, die ebenfalls mit eigenem Vertreter bei den Voranhörungen zum Kabinettsausschuß zugegen war. Bagiv erhält seit 2013 im Rahmen eines Strukturförderprogramms des Bundesamts für Migration und Flüchlinge (Bamf) knapp 100.000 Euro pro Jahr, seit 2017 erhält auch die Kurdische Gemeinde einen Betrag dieser Größenordnung vom Bamf.

Forderung nach Migrantenquote wird lauter

Ebenfalls Mitglied von Bagiv ist der Zentralrat der Armenier, weshalb es auch kaum verwundert, hier keine türkischen Organisationen zu finden. Ihren Einfluß geltend macht die Türkische Gemeinde – die von 2015 bis 2021 insgesamt 2.210.805 Euro an Fördermitteln über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) einstrich und ebenfalls mit eigenem Vertreter bei den Ausschußvoranhörungen dabei war – über den Dachverband „Neue Deutsche Organisationen e.V.“ (NDO). 

Dem „postmigrantischen Netzwerk“ gehören derzeit über 130 Vereine, Organisationen und Projekte an. Sich selbst beschreiben die Initiatoren als „Nachkommen von Arbeitsmigranten und Geflüchteten, Sinti und Roma, afrodiasporische Menschen, jüdische, muslimische und andere dialogsuchende Engagierte, Person of Color (PoC) oder Schwarze, Bindestrich-Deutsche oder eben anders“. Ihr Ziel: eine „inklusive Gesellschaft“.Mitgründerin der ndo und inzwischen Sprecherin des Vereins, Ferda Ataman, zeichnete in ihrer Rede auf dem Gründungskongreß der ndo das Bild einer gespaltenen Gesellschaft zwischen denjenigen, „die Deutschland neu denken wollen“, und solchen, „die mit der Veränderung nicht klarkommen“. 

Ataman ist seit 2018 zudem die Vorsitzende der „Neuen Deutschen Medienmacher“, die bis März 2019 Projektträger der NDO waren, und gehört seit 2020 außerdem der Mitgliederversammlung der Heinrich-Böll-Stiftung an. Zentrale Forderungen der NDO sind unter anderem ein bundesweites Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft, die Vergabe der Staatsbürgerschaft nach Geburtsrecht und einen Schulunterricht, der sich an den Herkunftsländern der Einwanderer orientiert. „Lehrpläne müssen explizit auf Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierungen eingehen“, heißt es. Dazu verlangen sie seit Jahren eine Migrantenquote für Parteien, Behörden, Wohlfahrtsverbände „und viele andere Bereiche“. 

Im Abschlußbericht des Kabinettsausschusses ist zwar von einer Quote keine Rede, allerdings verpflichtet sich die Bundesregierung nun, künftig „Diversität im öffentlichen Dienst zu fördern“. Hierzu sollen „Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund“ ergriffen werden. Ob eine verpflichtende Migrantenquote überhaupt nötig ist, bleibt also fraglich. Denn der ausgeübte Druck „von oben“ auf Abteilungsleiter und Führungspersonen öffentlicher Behörden dürfte scharf genug sein, um intern Quote vor Qualifikation zu stellen.

Als Hauptfinanzier der NDO tritt die Mercator-Stiftung auf. 2.933.170 Euro bewilligte die Stiftung von 2014 bis 2018 für verschiedene Projekte. Durch das Programm „Demokratie leben“ vom BMFSFJ kamen dem Verein in den Jahren 2020 und 2021 weitere 627.000 Euro zugute. Bei der Anhörung im Kabinettausschuß am 20. August waren allein sieben Organisationen dabei, die sich den NDO zurechnen. Neben der Türkischen Gemeinde sind das die Türkisch-Deutsche Plattform, DeutschPlus, Each One Teach One, Korientation, MigraNetz und der Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Einen zweifelhaften Ruf genießt der ebenfalls unter dem Dach von NDO tätige Verein Inssan „für kulturelle Interaktion“, der im Land Berlin der „Expertenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ angehört und in den vergangenen Jahren über 1,3 Millionen Euro an staatlichen Zuschüssen verzeichnete.

Der Berliner Verfassungsschutz bezeichnete in seinen Berichten von 2007 bis 2009 Inssan als den Muslimbrüdern nahestehend. Wie die Innenverwaltung der Hauptstadt 2018 mitteilte, gebe es personelle Verbindungen von Inssan zum Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum Berlin, das laut Verfassungsschutz als „Treffpunkt von Hamas-Anhängern“ fungiert. In Zeiten von antisemitischen Demonstrationen auf deutschen Straßen also eine durchaus brisante Konstellation, wenn man bedenkt, daß auch der Zentralrat der Juden an den Beratungen des Koalitionsausschusses teilnahm.

Inssan ist wiederum Mitbegründer der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM, einer weiteren Organisation, die dem Ausschuß beisaß und die über das Programm „Demokratie leben“ in den Jahren 2020 und 2021 knapp eine Million Euro an Fördermitteln des BMFSFJ einstrich. Das muslimische Einwanderermilieu hat seine Verhandlungsmacht also deutlich ausgebaut. Doch auch weitere „antirassistische“ Vereine und Akteure fordern vermehrt Einfluß – und der Abschlußbericht des Kabinettsausschuesses macht sehr deutlich, daß ihnen dies bereits gelungen ist.

Mehr dazu in Teil 2, der nächste Woche an dieser Stelle erscheint

 Kommentar Seite 2





Einfluß nehmen

Mittlerweile gibt es in Deutschland fünf Dachverbände von Migrantenorganisationen. Alle waren bei den Beratungen des Koalitionsausschusses vor Ort.

 Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände

(Erstsitz Bonn, Zweitsitz Berlin)

Gefördert durch: BMI (BAMF)

Gegründet: 1985

Mitglieder: 12 Migrantenorganisationen

 

Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) (Berlin)

Gefördert durch: BMFSFJ, BMI (BAMF)

Gegründet: 2014

Mitglieder: über 70 Mitgliedsorganisationen

 

Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (NeMo)

(Erstsitz Dortmund, Zweitsitz Berlin)

Gefördert durch: BMI, BMFSFJ

Gegründet: 2015

Mitglieder: mehr als 700 Migrantenorganisationen

 

Neue Deutsche Organisationen (Berlin)

 Gefördert durch: BMFSFJ, MercatorStiftung, Schwarzkopf-Stiftung

Gegründet: 2015

Mitglieder: über 120 Organisationen

 

Dachverband der Migrantenorganisationen in Deutschland DaMOst 

(Halle/Saale)

Gefördert durch: BMI (BAMF), BMBF

Gegründet: 2018

Mitglieder: über 300 Organisationen