© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Grüße aus Rio
Marineblaue Blicke
Wolfgang Bendel

Wir hatten in unserem Lieblingshotel gerade einige Runden Billard gespielt, die Brasilianer nennen es „sinuca“ in Anlehnung an das englische Wort Snooker, und waren auf dem Weg in Richtung Terrasse. Von dort hat man eine spektakuläre Sicht auf die Stadt, den Fluß und das Meer. 

Die Häuser, die nicht mehr als zwei Stockwerke hoch sein dürfen und damit den Blick aufs Meer freihalten, schmiegen sich an die zahlreichen Bäume, als ob sie vor der stechenden Mittagssonne Schutz suchen wollten. 

Ein Hotelangestellter, der Gärtner, kam uns entgegen: „Gerade knallte ein Tukan an die Fensterscheibe des Restaurants. Jetzt sitzt er leicht benommen auf dem Jequitibábaum da drüben.“ Er deutete in die entsprechende Richtung. Zunächst konnte ich gar nichts erkennen, dann auf einem der obersten Äste einen großen schwarzen Vogel: „Der sieht mir aber gar nicht wie ein Tukan aus“, meinte ich zu dem jungen Mann. „Warten Sie nur, bis er sich bewegt.“ 

Der Vogel drehte sich und sofort konnte man den übergroßen Schnabel bestaunen

Und tatsächlich. Der Vogel drehte sich etwas, und sofort konnte man seinen übergroßen hellgelben Schnabel erkennen. Dazu das charakteristische weiße Gefieder im oberen Brustbereich. Die Rückenfedern bleiben hingegen schwarz, was erklärt, daß ich ihn zunächst nicht als Tukan erkennt hatte. Ohne Zweifel, ein Riesentukan. Diese Tiere werden bis zu 65 Zentimeter groß und gelten als Symbol der Exotik schlechthin.

„Wußten Sie eigentlich, daß wir im Hotelgarten inzwischen einen Tukan halten?“ unterbrach der Gärtner meine zoologischen Gedanken. Das war mir neu. Also machten wir uns auf den Weg, um einen dieser Riesenspechte aus nächster Nähe inspizieren zu können. In dem liebevoll angelegten Hotelgarten mit einer einzigartigen Vielfalt von Pflanzen, in dem auch ein Pfauenpärchen herumstreift, wurden wir schnell fündig.

Gleich neben dem Gewächshaus hatte man einen weitläufigen Käfig angelegt, in dem ein Tukan starr auf einem Ast saß. Nichts rührte sich, so daß ich fast schon dachte, er sei eine Kunstfigur. Dann holte ich mein Smartphone heraus, um ihn zu fotografieren. Sofort kam Bewegung ins statische Bild. Der Vogel öffnete den riesigen Schnabel, strich mit einem Flügel darüber und schaute mich mit einem seiner marineblauen Augen an. Ich gewann den Eindruck, er wolle sich herausputzen, damit er besonders gut ins Bild kommt. Sicherlich eine Fehlannahme. Obwohl: Bei solchen Schönlingen weiß man das nie.