© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Orbán vom Thron stoßen
Parlamentswahlen in Ungarn: Sechs Oppositionsparteien wollen der Fidesz-Herrschaft im Frühjahr 2022 ein Ende bereiten
Zita Tipold

Was viele noch aus dem Sandkasten kennen, erhebt Ungarns Opposition zum demokratischen Grundprinzip: Alle gegen einen, und zwar gegen niemand Geringeren als Ministerpräsident Viktor Orbán. Budapests grüner Oberbürgermeister Gergely Karácsony ist der Mann, der den Fidesz-Politiker nach elf Jahren Regentschaft vom Thron stoßen will, um selbst darauf Platz zu nehmen.

 Unterstützung erhält er von sechs Oppositionsparteien, die besonders ein Punkt zu einigen scheint: Orbán muß weg. Der hat derzeit allerdings die absolute Mehrheit. 

Opposition wirft Orbán Korruption vor

Wie Karácsony jetzt in einem Facebook-Video ankündigte, will er als Spitzenkandidat des Bündnisses ins Rennen gehen und aus den Parlamentswahlen in rund einem Jahr als neuer Ministerpräsident Ungarns hervorgehen. Grünes Licht soll er dafür final bei den Vorwahlen im Herbst bekommen. Der 45jährige ist über die Stadtgrenzen Budapests hinaus als harter Kritiker des Regierungschefs bekannt. 

Grund für die „heilige Hetzjagd“ gegen das „Gespenst“ Orbán sind unter anderem Korruptionsvorwürfe. Aus den Reihen seiner Kritiker heißt es, dieser veruntreue EU-Fördergelder und besetze wichtige Ämter mit Parteifreunden. Selbst der Großteil der Presse sowie die Justiz befänden sich in der Hand seiner Vertrauten. „Mein Land steckt in großen Schwierigkeiten“, mahnt Karácsony in seinem Video. Deshalb sei es wichtig, Ungarn wieder zu einigen. Doch die Oppositionsparteien sind sich für gewöhnlich alles andere als einig. Bestes Beispiel dafür ist die stärkste unter den sechs Kräften, die ehemals rechtsnationale Partei Jobbik, die laut jüngsten Wahlumfragen des ungarischen Meinungsforschungsinstituts Medián bei elf Prozent steht. Die mutmaßliche 180-Grad-Wende der „Besseren“ – so der ungarische Name – hin zu einer liberalen Partei der Minderheiten (JF 20/20) sorgte in der Vergangenheit stets für Mißtrauen bei den anderen oppositionellen Kräften, die nun offensichtlich bereit sind, ihre Zweifel für den Zweck über Bord zu werfen. 

Auch zwischen der links-grünen Partei Lehet Más a Politika (LMP), deren Name besagt, „Politik kann auch anders sein“ und Káracsonys Párbeszéd („Dialog“) war die Beziehung trotz der inhaltlichen Nähe angespannt, denn letztere war durch eine Abspaltung von der LMP entstanden. Bei der linksliberalen Partei Demokratikus Koalíció (DK) handelt es sich um eine Abspaltung aus der heute sozialdemokratischen Partei Magyar Szocialista Párt (MSZP), die ihrerseits 1989 aus der früheren kommunistischen Einheitspartei hervorgegangen war. 

Die sechste Kraft im Bunde ist die 2017 gegründete Momentum Mozgalom, deren Parteiprogramm liberal und transatlantisch ausgerichtet ist, aber auch einzelne nationale Elemente beinhaltet. Orbán sieht hinter der eingeschworenen Zweckgemeinschaft mehr Einheitsfront als Querfront. „Obgleich bei der Opposition noch verschiedene Parteilogos zu sehen sind, gibt es dort in Wirklichkeit keine Partei mehr mit einem eigenen Willen. Von Jobbik bis zur LMP ist alles nur noch ein Einheitsbrei“, schrieb er im vergangenen Jahr in der Tageszeitung Magyar Nemzet. 

Dennoch könnten sie dem Fidesz-Politiker gefährlich werden. Bei den aktuellen Umfragen steht es 40 zu 36 für Orbán, der Rest ist bislang unentschlossen oder unterstützt keine der beiden Seiten. 

Orbán liegt bei Umfrage vorn

Zustimmung erhält die Oppositionsliste vor allem aus der Hauptstadt. 45 Prozent der Budapester Wahlberechtigten gaben bei einer repräsentativen Befragung an, das Sechser-Bündnis zu unterstützen, 34 Prozent wollen dem Regierungsbündnis aus Fidesz und der christdemokratischen KDNP ihr Kreuzchen geben. In den Dörfern liegt Orbán mit 47 zu 24 Prozent weiter vorne. Es zeichnet sich jedoch immer mehr ab, daß das Schicksal des 57jährigen auf lange Sicht zur Generationenfrage werden könnte. Nur 20 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren wollen laut der Medián-Umfrage Fidesz/KDNP wählen. Karácsony als Kapitän des Oppositionsdampfers mit dem Leitsatz „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ könnte Orbán tatsächlich gefährlich werden. 

Es wäre nicht das erste Mal, daß der unter Studenten äußert beliebte Politiker einen Fidesz-Mann aus dem Amt vertreibt. Bei den Wahlen in der ungarischen Hauptstadt 2019 hatte er bereits István Tarlós nach neun Jahren als Oberbürgermeister abgelöst.