© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

BVerfG-Beschluß zur Verhältnismäßigkeit der Staatsanleihekäufe
Soviel Recht wie Macht
Dirk Meyer

Der Philosoph Baruch de Spinoza erfuhr 1656, was einen erwartet, wenn man Zweifel an der herrschenden Lehre äußert – der Bann. Inzwischen leben wir aber in einem Rechtsstaat. Doch was nützt eine gut begründete Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG), wenn formale Hürden diese scheitern lassen?

So geschehen im Fall der PSPP-Staatsanleihekäufe durch die EZB. Die Richter sahen zwar in ihrem Urteil vom 5. Mai 2020 eine unzureichende Prüfung des EZB-Handelns durch Bundesregierung und Bundestag. Sie folgerten eine mögliche Kompetenzüberschreitung bis zur gegenteiligen Darlegung. Hinzufügen könnte man, daß das BVerfG fehlerhaft von zu niedrigen Anteilen einer Vergemeinschaftung möglicher Verluste ausging und die übermäßigen Ankäufe zugunsten der Krisenstaaten weder prüfte noch als monetäre Staatsverschuldung problematisierte. Die als Nachweis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung von der EZB übersandten sieben „Geheimdokumente“ waren seitenweise geschwärzt. Obwohl Abgeordnete die Unverständlichkeit monierten, wurde das nur wenige Tage dauernde Prüfverfahren mit positivem Beschluß beendet: Der „Bundestag hält die Darlegung der EZB zur Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für nachvollziehbar“ und die Karlsruher Vorgaben „somit für erfüllt“.

Daraufhin forderten die Kläger mit einer Vollstreckungsanordnung Einblick in die „Verhältnismäßigkeitsstudie“ der EZB. „Unzulässig, unstatthaft, unbegründet“ – so lautet nun der neue BVerfG-Beschluß. Die Studie könne nicht Gegenstand der Nachfrage sein, da sie noch nicht zum Zeitpunkt des Urteils vorlag – gerade das wurde ja beanstandet. Hierzu müßte allerdings erneut geklagt werden, was wiederum wohl ein mehrjähriges Verfahren brächte. Ein verrückter Rechtsstaat?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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