© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Die Preisspirale dreht sich immer schneller
Bauwirtschaft: Materialmangel in vielen Bereichen / Diskussion um Holz-Exportverbote nach China
Paul Leonhard

Wie China im umgekehrten Fall gehandelt hätte, ist gewiß: Die KP-Führung hätte den Holzexport rigoros verboten. Auch die USA hätten – egal ob unter Obama, Trump oder Biden – im Ernstfall die nationale Wirtschaft über alle Verträge gestellt. In Deutschland herrscht dagegen wie üblich verkehrte Welt: Die Bundesregierung will lediglich die Entwicklung bei den stark gestiegenen Holzpreisen beobachten, also ein Problem einfach aussitzen.

Exportverbote oder andere Handelsbeschränkungen seien kein geeignetes Mittel, um den Markt zu beruhigen, verbreitete das Bundeswirtschaftsministerium. Daß derzeit immer mehr Firmen wegen Materialknappheit Kurzarbeit anmelden müssen, wie die Bundesvereinigung Bauwirtschaft Anfang Mai mitteilte, schert das von Peter Altmaier (CDU) geführte Ressort wenig, solange die Bundesdruckerei über ausreichend Papier verfügt, um Gesetze und Verordnungen zu drucken.

Rohstoffknappheit könnte den Aufschwung gefährden

Der Umgang mit Rohstoffknappheit ist für das Industrieland Deutschland eine vergessene Herausforderung: Bald 48 Jahre ist es her, daß die Ölscheichs am 17. Oktober 1973 den Ölhahn wegen des israelisch-arabischen Jom-Kippur-Kriegs leicht zudrehten. Der Ölpreis stieg um 70 Prozent, die Bundesregierung verordnet vier autofreie Sonntage und ein vorübergehendes Tempolimit von 100 km/h.

Gleichzeitig beschloß das sozialliberale Kabinett von Willy Brandt den Bau von 40 AKWs. Und der 1970 vereinbarte Erdgasimport erwies sich als goldrichtig. Die DDR traf erst die zweite Ölkrise 1979/1980, denn Moskau verkaufte Öl lieber gegen D-Mark, Dollar, Franken und Pfund auf dem Weltmarkt. Daß es Holz oder anders Material rationiert zugeteilt oder zu Mondpreisen „unter der Hand“ gab, war allerdings für Handwerker zwischen Rostock und Zittau bis 1990 Alltag. Daher war es wohl auch der für den Forst zuständige Schweriner Agrarminister Till Backhaus (SPD), der Altmaier widersprach: „Eigentlich müßte man in Deutschland den Export von Holz nach Amerika unterbinden.“

Und den nach China natürlich gleich mit. Denn der steigende Holzbedarf in den beiden rößten Volkswirtschaften hat dafür gesorgt, daß in Deutschland die Lager leer sind, die Preise steigen und auf zahlreichen Baustellen die Arbeit ruht. Es fehlt aber auch an Kies, Zement, Dämmstoffen, an Stahl und Kunststoffen, an Kabeln, Feinblechen und elektronischen Bauteilen. Selbst Holzpaletten für den Transport sind Mangelware. Von einem „beispiellosen Engpaß seit 1991“ spricht das Münchner Ifo-Institut – damals begann der Bauboom nach der Wiedervereinigung.

Von 800 befragten Firmen im Bereich Hochbau hätten im April 23,9 Prozent über Probleme berichtet, rechtzeitig Baustoffe zu beschaffen. Im Tiefbau waren es 11,3 Prozent der Unternehmen. Die Preise für Dachlatten, Bauholz oder Konstruktionsvollholz sind gegenüber dem März 2020 um 20,6 Prozent gestiegen. Der Dachdeckerverband beklagte Lieferzeiten von zwei bis drei Monaten. Der Tonnenpreis von Warmbandstahl stieg zwischen Juli 2020 und April 2021 von 407 auf 950 Euro.

Die Bundesingenieurkammer verlangt, die Baustoffproduktion zurück nach Deutschland zu holen, und „baustoffsparende“ Planungen. Der Immobilienverband GdW teilte mit, daß 90 Prozent der rund 1.600 Mitgliedsfirmen „signifikante Engpässe bei Holz, Dämmaterial und Stahl“ beklagen. Der Industrieverband BDI forderte die EU auf, sich zügig mit den Lieferengpässen und dem Kapazitätsaufbau zu befassen, denn gehe es um die „Stärkung ihrer strategischen Souveränität“, so Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung: „Wegen der Bedeutung von Halbleitern für die Industrie muß Europa verlorengegangene Kompetenzen und Kapazitäten mit staatlicher Unterstützung wieder zurückholen.“

Mehr Kies, Sand und Gips in Deutschland abbauen

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) lehnt aber wie der BDI einen Exportstopp als kontraproduktiv ab. Derartiges verleite andere Länder zu Gegenmaßnahmen, unter denen gerade die Handels- und Industrienation Deutschland leiden würde, so Niedermark. Besser wäre es, wenn die Firmen Lieferketten diversifizieren und alternative Beschaffungswege aufbauen würden. Konkret bedeutet das die Rückkehr zu einer regionalen Kreislaufwirtschaft, einen Ausbau der heimischen Förderung und steuerliche Anreize für die Lagerhaltung von kritischen Rohstoffen.

Also statt globalen Wertschöpfungsketten wieder mehr Autarkie? So fordert der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, Felix Pakleppa, wieder mehr Kies, Sand und Gips in Deutschland abzubauen. „Es kann nicht sein, daß wir von importierten Baustoffen abhängig sind, wenn wir über große Mengen mineralischer Baustoffe im eigenen Land verfügen.“

Ob eine derartige Veränderung der Strukturen tatsächlich notwendig ist, wird jedoch vom Ifo-Experten Ludwig Dorffmeister angezweifelt. Der Fachreferent für Bau- und Immobilienforschung sieht die Ursachen für das immer schnellere Drehen der Preisspirale in Lieferschwierigkeiten in mehreren Märkten gleichzeitig. Wegen der Corona-Krise seien Kapazitäten heruntergefahren worden, gleichzeitig stieg die Nachfrage schneller wieder an als erwartet. Ähnlich sehen es die Analysten des IW, die zudem auf fehlende Container und Schiffsbesatzungen verweisen, die die Warenlieferungen zwischen China und Europa beeinträchtigen: „Nach der Vollbremsung der Weltwirtschaft und des Welthandels vor einem Jahr muß vieles nachgeliefert werden.“

Tatsächlich boomt in China, von wo die Corona-Pandemie ausgegangen ist, nach überwundener Krise die Bauwirtschaft. In das kommunistische Land lieferte Deutschland mehr als die Hälfte der 2020 exportierten Rekordmenge von 12,7 Millionen Kubikmetern Rohholz, so das Statistische Bundesamt. Insgesamt haben voriges Jahr die deutschen Sägewerke, die gegenwärtig dank des Exports nach Übersee Rekordgewinne einfahren, 25 Millionen Kubikmeter Nadelschnittholz produziert – ebenfalls ein Rekord. Ein Fünftel davon sei in die USA gegangen, und deren starke Nachfrage resultiert wiederum aus Schwierigkeiten mit dem Nachbarland Kanada, dem traditionellen Holzlieferanten von God’s Own Country. Die Ursache hierfür sind noch aus Trump-Zeit stammende Strafzölle sowie Waldbrände.

Handwerk und Bauindustrieverband gehen ohnehin davon aus, daß selbst nach Überwindung der derzeitigen Engpässe das Preisniveau bei Baumaterial hoch bleiben wird, auch weil Zulieferer und Zwischenhändler die Preise selbst in die Höhe getrieben haben. „Wir haben den Verdacht, daß einige Produzenten von Rohstoffen und Vorprodukten die Pandemie nutzen, um ihre Rendite zu verbessern“, sagt Dietmar Ahle, Vizepräsident des Bundesverbandes Farbe. Die Handwerksverbände raten bereits ihren Mitgliedern, mit den Kunden Vereinbarungen über mögliche Materialpreissteigerungen abzuschließen, um die Kosten an diese weiterzugeben.

„Knappheiten und Engpässe bei Vorleistungen“ (IW-Kurzbericht 31/21):

 www.iwkoeln.de

 www.bv-bauwirtschaft.de

 www.ifo.de