© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

„Wir wollen eigentlich gar keine Miete zahlen“
Immobilienmarkt: Vonovia will den Konkurrenten Deutsche Wohnen übernehmen / Enteignungsdemonstration zu Pfingsten in Berlin
Martina Meckelein

Wenn im September der Dax von 30 auf 40 aufgestockt wird, werden wohl elf MDax-Unternehmen in den Frankfurter Leitindex aufsteigen: Der Bochumer Immobilienkonzern Vonovia SE (2020: vier Milliarden Euro Umsatz) hat am Pfingstmontag überraschend angekündigt, den Berliner Konkurrenten Deutsche Wohnen SE (DW/2,7 Milliarden Euro Umsatz) bis Ende August zu übernehmen.

Die Altaktionäre sollen mit 52 Euro in bar sowie der Dividende für 2020 in Höhe von 1,03 Euro Aktie überzeugt werden – das wären 17,9 Prozent mehr als der DW-Schlußkurs vom 21. Mai und etwa ein Viertel mehr als der Durchschnittskurs der vergangenen drei Monate. „Aus der gemeinsamen Bewirtschaftung und der sich regional ergänzenden Portfolien werden Kosteneinsparungen von 105 Million pro Jahr erwartet“, heißt es in der Vonovia-Pflichtmitteilung vom 24. Mai.

 Ungewöhnlich ist das in der Ad-hoc-Mitteilung enthaltene Angebot an das Land Berlin, im Zuge des Firmenzusammenschlusses „eine erhebliche Zahl an Wohnungen aus dem Bestand der beiden Unternehmen zu erwerben“. Das soll nicht nur die 22 Milliarden Euro schwere Übernahme mitfinanzieren und den Kartell-Verdacht einer marktbeherrschenden Stellung in Berlin zerstreuen.

Eine Überführung in Gemeineigentum?

Die deutsche Hauptstadt ist auch ein heißes Pflaster für Immobilienkonzerne: „Ganz Berlin haßt die Deutsche Wohnen“ oder „Enteignen jetzt!“ und „Mieten runter, Löhne hoch!“ brüllten zahlreiche Demonstranten brav im Chor. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hatte Tausende mobilisiert. Ein buntes Volk aus Gewerkschaftlern, Marxisten, Klimaschützern und Linksradikalen gab sich ein Stelldichein auf dem Potsdamer Platz mit anschließendem Marsch bis zum Nollendorfplatz.

Die Klage über zu hohe Mieten und zu wenig Wohnraum hat vor zehn Jahren auch Berlin erreicht. Doch was will das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ eigentlich wirklich? „Wir wollen eigentlich gar keine Miete zahlen“, tönt eine Frauenstimme aus dem Demowagen. „Jeder, der Wohnungen besitzt, sollte enteignet werden.“ Schließlich formulierte schon der französische Anarchist Pierre-Joseph Proudhon 1840 den Satz: „Eigentum ist Diebstahl.“

Die Initiative verlangt die Überführung von privaten Immobilien in Gemeineigentum. Auf dem Wunschzettel stehen die Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen im Land Berlin. Ausgenommen seien Unternehmen in öffentlichem Eigentum, kommunale Wohnungsbaugesellschaften in privater Rechtsform und „Bestände in kollektivem Besitz der Mieter*innenschaft“. Eine „gemeinwirtschaftliche, nicht profitorientierte Verwaltung der Wohnungsbestände“ solle dann durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts („Gemeingut Wohnen“) erfolgen. Unbebaute Grundstücke sollen „vergesellschaftet“ werden.

Und was Vonovia und DW wohl direkt beträfe: Die „Vergesellschaftung“ müsse mit „einer Entschädigung deutlich unter Verkehrswert“ erfolgen – also quasi eine „Enteignung light“. Da scheint ein Verkauf ans Land Berlin für die Aktionäre die wohl attraktivere Alternative. Initiator dieser linken Träume ist Rouzbeh Taheri. Als 14jähriger kam er 1988 als Flüchtling aus dem Iran nach Berlin. Sein Schlüsselerlebnis sei eine Modernisierungsankündigung für seine Mietwohnung im Jahr 2011 gewesen, sagte er 2019 dem Tagesspiegel: „Die haben versprochen, daß ich Heizkosten sparen würde“, so Taheri. Doch es habe sich gezeigt, daß die Umlage für die Modernisierungsarbeiten höher gewesen sei als die komplette Wärmerechnung vor der Modernisierung.

Keine Frage, die Mieten in den Ballungszentren sind hoch, Wohnraum ist nicht erst seit 2015 knapp: „Die Mieten in Berlin haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt“, behauptet die Initiative. Laut Statista ist München mit 18,61 Euro pro Quadratmeter die derzeit teuerste Stadt im Mietpreis-Ranking (Neubau) von Empirica. Es folgen Frankfurt am Main (15,53 Euro), Stuttgart (14,68 Euro) und Hamburg (13,38 Euro). Berlin steht inzwischen an fünfter Stelle mit 13,23 Euro.

Für den Massenzuzug wird viel zu wenig neu gebaut

Daß die Angebotsmieten unter Berücksichtigung das Altbestands 2021 auf 10,17 Euro pro Quadratmeter kletterten, hat einen einfachen Grund: „2019 standen etwa 0,8 Prozent der Wohnungen in Berlin leer – im Jahr 2003 waren es noch 5,1 Prozent“, rechnet Statista vor. Vor 18 Jahren hatte Berlin nur 3,39 Millionen Einwohner, inzwischen sind es 380.000 mehr – sprich: Ein Bochum oder die Hälfte der Einwohner von Frankfurt ist hinzugekommen. Abhilfe könnte nur der Neubau öffentlich geförderten Wohnraums schaffen.

Doch genau das unterminiert der rot-rot-grüne Senat seit Jahren – es wird zu wenig gebaut: „Für 2020 meldeten die Berliner Bauaufsichtsbehörden 16.337 fertiggestellte Wohnungen. Das sind 14 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Die Zahl der als fertiggestellt gemeldeten Wohnungen liegt damit auf dem Niveau von 2018“, meldete das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Es gab nur 2.556 fertiggestellte Bauvorhaben, 24,6 Prozent weniger als im Vorjahr. „Bei Ein- und Zweifamilienhäusern sank die Zahl der Fertigstellungen um 25 Prozent auf 1.045 und in Mehrfamilienhäusern um 11,2 Prozent auf 13.659.“ Hinzu kamen 1.618 Zusatzwohnungen in bestehenden Gebäuden. Die Initiative rechnet mit Entschädigungszahlungen von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro bei rund 200.000 Wohnungen – amtliche Schätzungen kommen auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro. Das wären Kosten von bis zu 9.600 Euro pro Berliner Einwohner.

Was der gestärkte Vonovia-Konzern verlangt, ist noch unklar. Aber dessen Großaktionäre – die New Yorker Blackrock (7,3 Prozent), die norwegische Zentralbank (6,3 Prozent), die Bostoner Fidelity (3,3 Prozent) oder der niederländische Pensionsfonds APG (drei Prozent) – dürften keinen „Sozialpreis“ akzeptieren. Einst war ein Großteil der in Frage stehenden Wohnungen in öffentlicher Hand. Doch 2002 verkaufte der SPD/PDS-Senat 65.000 Wohnungen der landeseigenen GSW zum Schnäppchenpreis von 2,2 Milliarden Euro. Warum? Die Politiker glaubten nicht an ihre eigene Stadt – doch die Privatinvestoren wußten, daß mit der Hauptstadtentscheidung aus Leerstand bald Wohnungsmangel würde. Bis zum 25. Juni muß die Initiative 175.000 Unterschriften gesammelt haben, damit der Volksentscheid parallel zur Abgeordnetenhauswahl am 26. September stattfinden kann. Und dann? Am 24. September 2017 votierten 56,4 Prozent der Berliner Abstimmungsteilnehmer für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel. Doch im Juni 2018 entschied das Abgeordnetenhaus, daß der Tegel-Beschluß vom Senat nicht umsetzbar sei. Am 4. Mai 2021 endete die Betriebsgenehmigung für den Flughafen „Otto Lilienthal“.

Dem „Gesetz zur Überführung von Wohnimmobilien in Gemeineigentum (Vergesellschaftungsgesetz)“ dürfte es ähnlich ergehen: Der Grundgesetzartikel 15 erlaubt nur, „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ in Gemeineigentum zu überführen. Die Berliner Landesverfassung von 1995 sieht in Artikel 23 nur eine „Enteignung“ zum „Wohle der Allgemeinheit“ vor. Auch der 2020 beschlossene „Mietendeckel“ hatte keinen Bestand: Am 25. März 2021 kippte das Bundesverfassungsgericht das Berliner Gesetz – Vorschriften zur Mietenbegrenzung seien alleinige Bundeskompetenz.

Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“:

 www.dwenteignen.de

 ir.deutsche-wohnen.com

 investoren.vonovia.de