© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Pfingstmontag, Spaziergang auf einem Waldfriedhof in Berlin-Charlottenburg, unmittelbar in der Nähe des Olympiastadions. Die zwischen 1921 und 1924 von dem Gartenarchitekten Erwin Barth gestaltete Ruhestätte zählt wegen ihrer rund um die Senke eines kleines Sees terrassenförmig gruppierten Grabreihen zu den schönsten Friedhöfen Berlins. Bestattet sind dort zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter der humoristische Schriftsteller Joachim Ringelnatz, der 1974 von der linksterroristischen „Bewegung 2. Juni“ ermordete Präsident des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann, der Gründungsdirektor des Bauhaus-Archivs, Hans Maria Wingler, sowie der Humorist Vicco von Bülow alias Loriot. Ebenfalls begraben liegen hier zahlreiche Wissenschaftler und Politiker, Künstler wie Georg Kolbe, George Grosz oder Dietrich Fischer-Dieskau und Schaupieler (Horst Buchholz, Evelyn Künneke, Klausjürgen Wussow). Für den dort nicht beigesetzten Unterhaltungssänger Gunter Gabriel – unvergessen sein Auftritt 2015 auf dem JF-Sommerfest – befindet sich auf dem Friedhof ein Gedenkstein mit der Inschrift „... was bleibt, sind meine Songs.“


Apropos Grabsteininschriften: Die Bandbreite reicht von allerweltsmäßig-banal über Bibelverse bis hin zu kryptischen Zeilen. So lese ich auf einem hochragenden Findling, der nur die Vornamen von fünf zwischen 1918 und 1996 Verstorbenen, drei Männern, zwei Frauen, preisgibt: „Besitz stirbt,/ Sippen sterben,/ Du selbst stirbst wie sie,/ Eins nur weiß ich,/ das ewig lebt:/ Der Taten Tatenruhm.“ Auf dem grauen Marmorstein von Dieter L., verstorben 2012, heißt es: „Das Beste kommt noch“. Nun ja. Doch was im Hier und Jetzt werden sich wohl die Angehörigen der mit 69 Jahren verstorbenen Annemarie K. dabei gedacht haben, als sie auf deren Grabstein die Worte „Trotz alledem!“ meißeln ließen?


Nachlese zu der künstlerischen Corona-Protestaktion #allesdichtmachen. In Form einer Kurzgeschichte schreibt der Schauspieler Ulrich Tukur in der Neuen Zürcher Zeitung (15. Mai): „Wir wollten einfach mit unseren Mitteln etwas in Gang setzen, den uralten Mitteln des Narren, der seinem König den Zerrspiegel vorhält, um auf Mißstände hinzuweisen, die Fenster dieses dumpfen Hauses wollten wir aufreißen und frische Luft hereinlassen. Wir wollten, daß die Bürger dieses Landes wieder gehört und ernst genommen werden und daß ihnen nicht einfach etwas vorgesetzt wird, heute diese, morgen jene Verordnung, die sie stumpf zu befolgen hätten, ob sinnvoll oder nicht.“