© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Gevatter auf Freiersfüßen
Sterben: In Joseph Vilsmaiers letztem Film „Boandlkramer“ wird der Sensenmann selbst umgehauen – von der Liebe
Dietmar Mehrens

Nicht jedem Menschen ist es vergönnt, die letzten Monate seines Lebens einem Projekt widmen zu dürfen, das sich mit genau dem Thema befaßt, das für jeden Sterbenden notgedrungen dasjenige ist, das ihn am meisten verfolgt. Der Tod, so lernen wir es im Prolog zum letzten Film von Joseph Vilsmaier, hat viele Namen. Einer davon dürfte Menschen, die nicht wie der Regisseur selbst aus Bayern stammen, eher nicht so geläufig sein: der Boandlkramer. Ihm verdankt der Film seinen Titel.

Der durch „Herbstmilch“ (1989) und „Stalingrad“ (1993) auch international bekannt gewordene Filmemacher, könnte man sagen, machte aus der Not des Sterbenmüssens die Tugend des Filmemachens. Zur Seite stand ihm dabei, als Produzent, Hauptdarsteller und Nachlaßverwalter, kein Geringerer als das Filmuniversalgenie Michael „Bully“ Herbig, der sich zuletzt mit dem Fluchtdrama „Ballon“ (2018) eines ungewohnt ernsten Themas angenommen hatte.

Auch der Tod, der den schwer krebskranken Regisseur kurz nach Abschluß der Dreharbeiten ereilte, ist eigentlich ein ernstes Thema, nicht aber in diesem Film, der den Gevatter alias Boandlkramer in Gestalt des stark durch Maskenbildnerkunst entstellten Michael Herbig auftreten läßt, der sich auf einer seiner Routinetouren zu den Menschen verliebt. Eigentlich sollte der Boandlkramer den kleinen Maxl (Josef Staber) holen, der mit der Eheschließung seiner Mutter (Hannah Herzsprung) nicht einverstanden ist und zum Bahnhof rennt, weil er dort – es ist die Zeit von Konrad Adenauers erfolgreichen Verhandlungen in Moskau über die Freilassung von 10.000 deutschen Kriegsgefangenen – seinen im Krieg verschollenen Vater zu finden hofft.

Maxl verunglückt, aber der Boandlkramer läßt ihn zurück, weil dessen Mutter ihn entzückt. Er erfindet in Himmelspforten eine Ausrede und holt sich ausgerechnet beim Teufel (Hape Kerkeling) Rat, wie man das Herz einer Frau gewinnen kann. Er merkt aber bald, daß dem Blender, der es sogar fertigbringt, die Hölle als Paradies anzupreisen, nicht zu trauen ist, und schart daher noch einige irdische Ratgeber um sich, um das Herz der schönen Gefi zu erobern, was weiterer Situationskomik Tür und Tor öffnet.

Vilsmaiers Film gehört sicherlich zum Skurrilsten, was deutsche Filmemacher im letzten Jahr ins Kino bringen wollten, auch wenn die Handlung kaum mehr Substanz hat als das dürre Knochengerüst, als das Gevatter Tod im Mittelalter gern dargestellt wurde. Im Vordergrund stehen die Einzelszenen, in denen Herbig, Herzsprung und Hape Kerkeling ihrer Spielfreude freien Lauf lassen konnten, um so dem ernsten Thema burleske Szenen und ironischen Witz abzugewinnen.

Das ist klamaukig, aber es hat auch Stil, etwa wenn Vilsmaier mit einem Zitat aus der „Dick und Doof“-Komödie „Way Out West“ (1937), eine kleine Hommage an Stan Laurel und Oliver Hardy, die legendären Titanen der Filmunterhaltung, einbaut. Oder wenn Hannah Herzsprung, um Maxls Leben fürchtend, den Satz spricht: „Was bist du nur für ein hartherziger Gott?“ Wer würde da nicht denken an den frühen Tod von Vilsmaiers Ehefrau Dana Vávrová, die er, der viel Ältere, wider alle Wahrscheinlichkeit überlebte.

Marcus H. Rosenmüller, der sich schon in „Wer früher stirbt, ist länger tot“ (2006) mit maximaler Respektlosigkeit des Themas Hölle und Verdammnis angenommen hat und wie Produzent Herbig am Drehbuch mitwirkte, ist überdies eine Satansfigur gelungen, die vielleicht mehr Zutreffendes über das Wesen von Gottes Widersacher aussagt als die Teufelsikone mit Hörnern und Dreizack.

Liebe ist stärker als der Tod – daran möchte jeder gern glauben. Am Ende sind es aber doch eher die fein versteckten und bei aller Ironie nicht verleugneten Wahrheiten über den Zusammenhang zwischen Sünde, Tod und Teufel, die sich als adäquates Rüstzeug für die letzte Reise empfehlen, die der berühmte Bayer im Februar 2020 antreten mußte. Das, im Verein mit den von ihm wunderbar ins Bild gesetzten Naturkulissen Niederbayerns, Tirols und Vorarlbergs, macht Joseph Vilsmaiers „Boandlkramer und die ewige Liebe “ zu einem ebenso markanten wie würdigen Abschluß eines bedeutenden filmischen Schaffens.

Der Film läuft auf Amazon Prime