© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Die Apokalypse hat heute wieder Hochkonjunktur
Endzeitdenken: Fragmentarische Überlegungen eines Kulturtheoretikers zur postmodernen Gemütsdämmerung
Dirk Glaser

Als nach dem Berliner Mauerfall das Sowjetimperiums implodierte, schien sich anzukündigen, was der US-Politologe Francis Fukuyama als teilnehmender Beobachter auf die so griffige wie optimistische Formel vom „Ende der Geschichte“ brachte. Die Gesellschaftsordnung des Westens, so seine Prognose, trete nach dem Zusammenbruch ihres staatssozialistischen Rivalen ihren nun unaufhaltsamen Siegeszug an. Der sich mit automatischer Sicherheit vollende, wenn sich die Menschheit auch im letzten Erdenwinkel demokratisch und marktwirtschaftlich organisiert habe, so daß Friede und Freiheit auf Erden für immer garantiert seien.

Doch die in den 1990ern ausgefochtenen Kriege auf dem Balkan und im Nahen Osten, die islamischen Terrorangriffe vom 11. September 2001 und die sich anschließenden US-Interventionen in Afghanistan und im Irak ließen Fukuyamas Traum von der Weltdemokratie platzen. Dagegen durfte sich sein Kollege Samuel P. Huntington bestätigt fühlen, der für das 21. Jahrhundert einen „Clash of Civilizations“ (1996), eine Kaskade von Konflikten zwischen den Kulturräumen der Erde erwartete. Wobei zuvörderst Kollisionen zwischen dem offensiven Islam und der westlich-atlantischen Zivilisation den Spielplan des Welttheaters diktieren würden.

Huntington erweist sich für den Kulturtheoretiker Martin Burckhardt in seinem Essay „Apocalypse Now!“ (Lettre International, 131/2020) schon deshalb als der schärfere Analytiker, weil sein realistischer Ausblick tiefsitzende kollektive Ängste der „Wendezeit“ beachtete, während Fukuyamas Illusionismus ignorierte, daß der langfristige Trend westlichen „Endzeitdenkens“ von dieser 89er-Zäsur fast unberührt blieb. Die vom Ende der großen Fortschrittserzählung kündende „postmoderne Gemütsdämmerung“ und das „No Future der Punks“ erstickten seit Mitte der 1970er jeden „Geist der Utopie“ (Ernst Bloch). Der Zeitpfeil hatte seine Richtung gewandelt, fortan war das Paradies nicht mehr im Künftigen, sondern allenfalls in der Vergangenheit beheimatet, die noch Donald Trumps „Make America great again!“ zurückzuholen versprach. Aber die „heißeste Spielart des dystopischen Denkens“ hört schon seit 1992 auf den Namen „Anthropozän“, seitdem der „Erdgipfel“ von Rio, die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung mit ihrer auf „Nachhaltigkeit“ pochenden „Klimarahmenkonvention“, den Ball des stark chiliastisch tönenden Club of Rome-Reports über die „Grenzen des Wachstums“ (1970) wiederaufgenommen hatte.

Zwischen „Weltrettern“ und „Klimaleugnern“

Befeuert von der Corona-Pandemie, habe sich der zwischen „Weltrettern“ und „Klimaleugnern“ tobende Glaubenskrieg vor allem in Deutschland zugespitzt und kräftig den Nährboden der „Begeisterung für apokalyptisches Denken“ gedüngt. Die seit dem 1. April sogar Gegenstand der Untersuchungen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung üppig finanzierten, an der Universität Heidelberg eingerichteten  Forschungskollegs „Apokalyptische und Postapokalyptische Studien“ ist. 

Warum schießen apokalyptische Erwartungen nicht erst seit Covid-19 ins Kraut? Warum greift in einer „zutiefst säkularen, konsumistischen Gesellschaft mit der Apokalyptik eine Denkungsart um sich, die man, wenn das kein Widerspruch in sich wäre, als ‘säkulare Dämonologie’ auffassen müßte“? Weil er die „psychosozialen Grundkonstellationen“ für ähnlich hält, glaubt Burckhardt Antwort auf diese Fragen im alttestamentarischen „Buch Daniel“ zu finden, das zusammen mit der neutestamentlichen „Johannesapokalypse“ tatsächlich im Mittelpunkt aller von der Bibel inspirierten Endzeit-Sekten steht, vom Mittelalter bis hin zu den Adventisten und Zeugen Jehovas des 20. Jahrhunderts.

Aus der Bewährungsprobe siegreich hervorgehen

Das „Buch Daniel“ entstand während der im Jahre 167 v. Chr. entfesselten Rebellion der jüdischen Makkabäer gegen Antiochus IV. Epiphanes. Dieser syrische König, der Palästina seinem Reich einverleibt hatte, provozierte den Waffengang, als er die politische zur kulturellen Fremdherrschaft ausbaute, den jüdischen Gottesdienst verbot und den Zeus-Kult in Jerusalem einführte, was den Makkabäern dem Untergang ihrer Welt gleichkam. Das „Buch Daniel“ sollte ihnen während des aussichtslos scheinenden Aufstandes Mut einflößen, indem es an apokalyptische Untergänge früherer babylonischer Unterdrücker des jüdischen Volkes erinnerte und den frommen Streitern verhieß, auch aus dieser endzeitlichen Bewährungsprobe siegreich hervorzugehen. 

Den Makkabäern der Gegenwart attestiert Burckhardt, infolge der Globalisierung von einem vergleichbar existentiellen Selbstverlust bedroht zu sein, nur lasse sich ihr Feind nicht mehr leicht in Gestalt von Tyrannen wie Antiochus fassen, sondern bleibe anonym. Ihn könnten heutige Wiedergänger der Makkabäer darum nur als „System“ denunzieren, ohne es politisch-ökonomisch zu begreifen. Verschwörungsgläubige, Burckhardt nennt politisch korrekt QAnon-Anhänger und „Corona-Leugner“, sind jedoch nicht notwendig Apokalyptiker. Ebensowenig wie der Twitter-Mob, der die „Identitätspolitik samt Cancel Culture“ organisiert und dessen „zeitgemäße Apokalyptik“ nicht wie vermutet aus hysterischen „Ausgrenzungsstrategien dieser Gemeinde der Gläubigen“ resultiert. Vielmehr würde sie deshalb zum Thema gehören, weil das primitiv-dualistische Weltbild jener „Erweckten und Tugendhaften“ mit dem der manichäischen „Lehre von den Letzten Dingen“ korreliert, die den Lichtmenschen in Aussicht stellt, Endgericht zu halten und die Erde von allen Finsterlingen zu säubern. 

Wo sich die Aktualität apokalyptischer Weltbilder aber am ehesten aufdrängt, da verläßt Burckhardt vollständig der Mut, historische Parallelen zu ziehen: bei den Veitstänzern von „Extinction Rebellion“, die den CO2-Tod des Planeten für 2025 terminieren, den auf die postapokalyptische Dystopie eines deindustrialisierten Landes eingeschworenen Kobold-Grünen, den „Fridays for Future“-Hüpfern oder neuerdings dem von ähnlicher Panik erfüllten Bundesverfassungsgericht, das soeben in seinem Klimabeschluß apokalyptisch geraunt hat, „ein unbegrenztes Fortschreiben von Erderwärmung und Klimawandel stünde nicht im Einklang mit dem Grundgesetz“ und müsse daher vom omnipotenten Katechon Bundesrepublik „ab sofort“ (Günter Schabowski) aufgehalten werden.