© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Wer A sagt, könnte auch B sagen
Kompetenzfrage: Warum die Bischöfe zu Recht den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis in diesem Jahr trotz Protesten nicht vergeben
Jürgen Liminski

Meinungs- und auch Interpretationsunterschiede sind das Salz im demokratischen Diskurs. Man kennt das von Parlamentsdebatten, bei denen die oppositionelle Aufregung wiederum normal ist, das ist eine Frage der Kompetenz. Wenn jedoch die sozusagen oberste Instanz der katholischen Kirche ein literarisches Werk für nicht auszeichnungswürdig im Sinne des christlichen Glaubens hält, dann wird diese Kompetenz schlicht ignoriert. So geschehen mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis, den der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz dem Roman „Papierklavier“ der österreichischen Schriftstellerin Elisabeth Steinkellner verweigert, obwohl die Jury ihn dafür vorgeschlagen hat. Nun verlangt eine Petition mit mehr als 220 Unterschriften von der Bischofskonferenz, ihre Entscheidung rückgängig zu machen und den Preis doch zu verleihen, denn damit würde man die Lebenswelten der Jugend von heute anerkennen.

Wie sehen diese Lebenswelten aus? Bei dem Roman geht es um eine 16jährige namens Maia, die sich zwischen Schule und Teilzeitjob um ihre drei Geschwister kümmert, die von verschiedenen Vätern stammen. Eine Freundin der 16jährigen ist transgender, und sie selbst probiert Sexualität in verschiedenen Formen aus.

Bei allem Verständnis für Lebenswelten heute, Maias Lebenswelt kann man nicht als katholisch und auch nicht als christlich bezeichnen, ja noch nicht einmal als normal. Drei von vier Kindern leben laut dem Statistischen Bundesamt heute immer noch bei ihren beiden leiblichen und verheirateten Eltern, und selbst das vierte Kind dürfte, sofern es überhaupt in einer Patchwork-Familie lebt, nicht gleich drei Väter oder eine geschwisterliche Ersatzmutter, sondern eher eine alleinerziehende Mutter haben.

Schon möglich, daß die Lebenswelt von Schriftstellern und Medienschaffenden anders aussieht und den fiktiven Umständen von Maia nähersteht. Aber daraus abzuleiten, daß dies jetzt die Norm zu sein habe und zwar auch für die katholische Kirche, ist kein Zeugnis von Weltoffenheit, sondern von einer blasenartigen Weltfremdheit. Man könnte auch sagen: Es zeugt nicht von Toleranz, sondern von der Überheblichkeit derjenigen, die andere Meinungen, Interpretationen und vor allem Kompetenzen nicht akzeptieren wollen. 

Allerdings kann man sich auch fragen, warum der Ständige Rat seine Entscheidung nicht näher begründet. Es wäre doch eine Chance, mal ein Bild von normalen christlichen Familien oder den Problemen christlicher Jugendlicher in einer immer heidnischer werdenden Umwelt wenigstens in Konturen zu zeichnen. Natürlich macht man sich mit solchen Beschreibungen angreifbar. Aber wenn man schon mal A gesagt und lobenswerterweise den Mut zum Ausschluß aufgebracht hat, weil der Roman „nicht den Kriterien der Statuten des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises entspricht“, dann könnte man auch B sagen, B wie Bekenntnis, und die Kriterien deutlicher benennen. Es wäre gerade in einer Zeit, da man die Kirchen so scharf beobachtet und gern verurteilt, eine Gelegenheit, das Bild eines lebbaren christlichen Glaubens darzustellen.

Diese Frage geht freilich zuerst an die Jury selbst. Ihre Mitglieder sollten überdenken, ob sie in der richtigen Jury sitzen und nicht wohlfeil das Geld der Gläubigen an Schriftsteller verteilen, die offenbar mit dem christlichen Glauben nicht soviel zu tun haben. Für die Beschreibung irgendwie solidarischer, aber glaubensferner Lebensbilder gibt es andere Preise. Den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis in diesem Jahr trotz lauter Proteste nicht zu vergeben ist jedenfalls besser als ihn zu verschleudern.